April 30, 1991
The Chancellor’s [Helmut Kohl's] Conversation with the President of the USSR, Mikhail Gorbachev, Tuesday, 30 April, 12.10 - 12.30 Hours
Head of Division 21 Bonn, 30 April 1991
V e r m e r k
Betr: Gespräch des Herrn Bundeskanzlers mit dem Präsidenten der UdSSR, Michail Gorbatschow, Dienstag, 30. April, 12.10 – 12.30 Uhr[1]
Präsident Gorbatschow (G.) begrüßt den Bundeskanzler - der den Gruß erwidert - und stellt erfreut fest, daß die Vereinbarungen über die beiderseitigen Telefongespräche strikt eingehalten würden.
G. würdigt anschließend die Ratifizierung des Deutsch-Sowjetischen Umfassenden Vertrages: Er habe die Ratifizierungsdebatte im Deutschen Bundestag, die dortigen Ausführungen BM Genschers sowie die Stellungnahme des Bundeskanzlers mit größtem Interesse verfolgt. Dies alles habe einen guten Eindruck hinterlassen.
Das Eis sei nunmehr Gott sei Dank gebrochen. Man könne nun in die Etappe der Verwirklichung dieser historischen Vereinbarung eintreten.
Der Bundeskanzler dankt für diese Würdigung und erkundigt sich nach dem Fortgang der Reformen in der Sowjetunion: Was man aus letzter Zeit gehört habe, klinge ja sehr positiv. Er frage sich, ob Jelzin nunmehr beidrehe.
G. (in diesem Gesprächsteil sehr zögernd) erwidert, das vom Obersten Sowjet verabschiedete Programm MP Pawlows heiße zwar "Antikrisenprogramm", orientiere sich jedoch nicht nur auf kurzfristige, sondern auf langfristige Ziele. Die Umsetzung berate er - G. - gerade im Sicherheitsrat. Dabei gehe es insbesondere um die dringendsten Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaftslage. Schwerpunkte dabei seien:
- Stabilisierung der Grundstoffindustrien
- Zurückdrängen der Inflationsrate
- Vorwärtsbewegung beim Gesamtpaket zur Stimulierung von Produktion und Einführung der Marktwirtschaft.
Im letzteren Zusammenhang gebe es eine große Diskussion über die Entstaatlichung der großen Industriezweige, die Antimonopolgesetzgebung, Hilfen für mittlere und kleinere Unternehmer. Dies alles laufe parallel zur kurzfristigen Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Lage. Das Antiinflationsprogramm MP Pawlows sei nicht nur im Obersten Sowjet breit diskutiert worden, sondern auch von der Vereinigung der Industriellen und Kaufleute, von Wissenschaftlern und in der Partei. Besonders erwähnenswert sei, daß sich alle Republiken - einschließlich der Baltischen - an den Diskussionen um das Krisenprogramm beteiligt hätten. Somit genieße das Programm allgemeine Unterstützung.
Allerdings habe er - G. - eine "heiße Woche" hinter sich. Er habe auch ziemlich enge Kurven fahren müssen - dies sei wohl notwendig gewesen.
Der Bundeskanzler erwidert, er habe dies auch so verstanden. Er selbst habe in Westeuropa massiv die Partei des Präsidenten ergriffen, in öffentlichen Reden, bei jeder Gelegenheit. Er bleibe bei seiner These: Er setze auf Michail Gorbatschow!
In 14 Tagen werde er in Washington sein und dort dasselbe betonen. Dabei müsse man sehen, daß sich dort jetzt eine diffuse Stimmung verbreite -übrigens auch aus der SU selbst gespeist.
G. wirft ein, dies verstehe er wohl.
Der Bundeskanzler fährt ohne Umschweife fort, es werde etwa wie folgt geredet: "Der Mann ist gut, wird es aber wahrscheinlich nicht schaffen!" Es sei psychologisch ganz wichtig, gegen derartige Versionen anzugehen. G. könne sich darauf verlassen, daß er - der Bundeskanzler - dies tun werde. Gerade deshalb - und nicht aus bloßer Neugierde - sei es für ihn entscheidend, weiterhin über die Pläne des Präsidenten unterrichtet zu sein.
G. bestätigt, die "amerikanischen Freunde" - Präsident Bush, AM Baker und ihre Mitkämpfer - würden in der Tat in diesem Sinn beraten. Diese Leute argumentierten etwa wie folgt: Gorbatschow wolle die Union erhalten, Jelzin hingegen könnte die Baltischen Republiken freilassen; Jelzin trete für Privateigentum ein, Gorbatschow insistiere auf einem gemischtwirtschaftlichen System; Jelzin befasse sich mehr mit inneren Angelegenheiten und mische sich nicht in einer für die Amerikaner hinderlichen Weise in die Weltpolitik ein usw. usw.
Er, G., stelle fest, daß derartige Empfehlungen jeder soliden Grundlage entbehrten. Er rate den "amerikanischen Freunden" dringend, sich gegenüber derartigen Ratschlägen sehr vorsichtig zu verhalten. Zwar verhielten sich Bush und Baker vernünftig, aber der Druck von Rechts auf sie werde in nächster Zeit größer.
Er - G. - versichere dem Bundeskanzler jedoch ausdrücklich, daß er seinen Kurs in schwieriger Situation beibehalte. Dies erfordere in der Tat Manöver und die Mischung von Reformmaßnahmen mit einigen harten Maßnahmen, sowohl in der Wirtschaftspolitik als auch in den allgemeinen inneren Angelegenheiten. Dies werde leider unvermeidlich sein.
In diesem Zusammenhang habe er eine wichtige Information für den Bundeskanzler: In der Sowjetunion werde die Diskussion zunehmend größer zum Thema, ob der Präsident "entschlossen" oder "unentschlossen" sei.
Auch viele Partner und Bekannte des Bundeskanzlers analysierten die Lage ziemlich öffentlich. Worum gehe es?
- Die Rechtsaußen (in der SU) forderten, daß der Präsident das Rad der Geschichte zurückdrehe und ihre Position festige - diesen "Selbstmord" werde er - G. - jedoch nicht begehen!
Seine Aufgabe bestehe vielmehr darin, diese Leute zurückzudrängen. Sie versuchten deshalb, ihn in mehreren Wellen anzugreifen und ihm in inneren und äußeren Angelegenheiten Schwierigkeiten zu machen - dies aber werde ihnen nicht gelingen.
- Wenn Linksradikale von Unentschlossenheit des Präsidenten sprächen, so gehe es bei ihnen um die Ausführungen abenteuerlicher Vorstellungen. Viele dieser Leute seien junge, initiativreiche, idealistische Menschen, politisch aber Grünschnäbel.
Seine Aufgabe bestehe nun darin, das was sie an demokratischem Gedankengut vorschlügen zu unterstützen, aber alles, was ins Abenteuer führe, zurückzudrängen.
Kurzum: Die ganze Tendenz der Sowjetunion sei linkszentristisch. Dies sei natürlich nur, soweit man dies überhaupt am Telefon besprechen könne, eine kurze Zusammenfassung. Er hoffe, bald mit dem Bundeskanzler ausführlich darüber zu sprechen.
Der Bundeskanzler erwidert, er habe eine ziemlich präzise Vorstellung, wie schwierig die Lage des Präsidenten sei. Er verspreche erneut, sich im Sinn einer Aufklärung an die Öffentlichkeit zu wenden - darauf könne G. sich verlassen.
G. dankt und spricht die Mission der Staatssekretäre Dr. Köhler und Dr. von Würzen an: Der Bundeskanzler habe sicher Gelegenheit gehabt, ihre Berichterstattung zu hören und er - G. - wäre sehr dankbar, wenn der Bundeskanzler sich wohlwollend verhalten könne.
Der Bundeskanzler erwidert, man werde über diesen Bericht sehr intensiv diskutieren. Seinerseits bitte er Gorbatschow, sein Augenmerk auf die im Augenblick in Moskau stattfindenden Verhandlungen über die Errichtung von 3.000 Wohnungen an vier Standorten (im Rahmen des Überleitungsvertrages) zu richten. Er - der Bundeskanzler - erinnere an frühere Gespräche in dieser Sache:
Entscheidend wichtig sei, daß die Wohnungen pünktlich fertiggestellt würden. Dabei sei selbstverständlich, daß die sowjetische Seite die Aufträge vergebe. Was sich aber jetzt abzeichnet, werde sich nicht günstig auswirken. Deshalb sollten nach seiner Meinung die Wohnungsbauten an zwei dieser großen Standorte an deutsche Generalunternehmer gehen - nur so könne für Pünktlichkeit und Qualität gebürgt werden. Er bitte den Präsidenten, sich dieser Sache noch einmal anzunehmen.
G. sagt zu, sich unverzüglich unterrichten zu lassen – er habe geradeeine Reihe Kabinettsmitglieder bei sich.
Der Bundeskanzler und G. vereinbaren, in der übernächsten Woche (nach dem 12. Mai) erneut zu telefonieren.
Der Bundeskanzler und G. tauschen Grüße - “auch zu Hause“ - aus.
Der Bundeskanzler schließt mit dem Wort: “Der Kampf geht weiter“.
Präsident Gorbatschow erwidert: “Der Kampf ist ewig, und von der Ruhe können wir nur träumen!“
(Dr. Kaestner)
[1] BArch, B 136/59744, 250-254.
Head of Division 21
Bonn, 30 April 1991
M e m o r a n d u m
Subject: The Chancellor’s Conversation with the President of the USSR, Mikhail Gorbachev, Tuesday, 30 April, 12.10 - 12.30 Hours[1]
President Gorbachev (G.) greets the Chancellor, who returns the greetings, pointing out that one strictly adhered to the agreement on one’s mutual telephone conversations.
G. then expresses his appreciation of the ratification of the comprehensive German-Soviet treaty: He followed the ratification debate in the Bundestag, as well as Foreign Minister Genscher’s remarks and the Chancellor’s declaration, with the greatest interest. All of this left a good impression. Thank God, the ice was now broken. One could now enter the historic stage of implementing the accords.
The Chancellor expresses his thanks for the appreciation and queries about the progress of the Soviet Union’s reform program. The latest news sounded very positive. He asks whether Yeltsin was meanwhile moving.
G. (very reluctant in this part of the conversation) replies that although Prime Minister Pavlov’s program issued by the Supreme Soviet had the title "anti-crisis program,” it was not just oriented toward short-term objectives, but towards long-term aims. He was just discussing its implementation in the Security Council. Its focus was on the most urgent measures for the economy’s stabilization, with an emphasis on:
- The stabilization of the raw materials industry;
- the reduction of the inflation rate;
- and progress in terms of the overall package for the stimulation of production and the introduction of the market economy.
The last part entailed a large discussion on the denationalization of large industry sectors, anti-monopoly legislation, and assistance for medium-sized and smaller businesses. All of this was pursued in parallel to the short-term stabilization of the economy. Prime Minister Pavlov’s anti-inflation program had been broadly discussed not only in the Supreme Soviet, but also in the association of industrialists and commerce people, by scientists, and within the party. It was particularly noteworthy that all republics, including the Baltics, had been participating in discussions on the crisis program. Thus, the program had general support.
However, he – G. – had had a "hot week.” He was forced to take narrow curves – this had perhaps been necessary.
The Chancellor replies that he had understood it this way. In Western Europe, he had massively taken the side of the President in public speeches at every opportunity. He maintained his position: He was counting on Mikhail Gorbachev. He would be in Washington in 14 days and would reiterate the same message. One had to take into account that a vague atmosphere was spreading in Washington, which was nurtured from the Soviet Union itself.
G. inserts that he understood this very well.
The Chancellor continues without beating around the bush, saying that people were arguing as follows: "The man is good, but he would not be able to make it in all likelihood!" In psychological terms, it was very important to reverse these reproaches. G. could be certain that he - the Chancellor - would do this. For this reason, and not out of curiosity, was t essential for him know about the president’s further plans.
G. confirms that the "American friends" - President Bush, Foreign Minister Baker, and their fellow combatants - were indeed being advised according to this line. These people were arguing as follows: Gorbachev wanted to maintain the Union, whereas Yeltsin could release the Baltic states. Yeltsin was in favor of private property, Gorbachev insisted on a mixed economy; Yeltsin was rather focused on domestic issues and did not interfere in foreign policy in ways that was obstructive for the United States, etc., etc.
He, G., noted that these recommendations lacked any solid basis. His urgent advice for the "American friends" was to be cautious about this kind of advice. Though Bush and Baker behaved sensibly, the pressure from the right would increase in the near future.
He – G. – assured the Chancellor that he stuck to his course against the backdrop of this difficult situation. This necessitated maneuvers and a combination of reform measures with a series of tough measures in the economic field, as well as in general domestic affairs. Unfortunately, this would be unavoidable.
In this context, he had an important piece of information for the Chancellor. In the Soviet Union, there was increasingly greater discussion on the issue of whether the President was "determined" or "undecided.” Many of the Chancellor’s partners were analyzing the situation in public. What was this about?
The far right (in the Soviet Union) demanded that the President turn back history, thereby solidifying their position, but he – G. – would not commit this kind of "suicide”! Rather, his task was to push back these people. Hence, they were aiming to attack him in several ways, trying to cause problems in domestic and foreign affairs - but they would not succeed.
If left-wingers referred to the President’s indecisiveness, their real issue was adventurous ideas. Many of these people were young, proactive, and idealistic human beings, but politically they were greenhorns. His task was to support their democratic proposals and to push back on their adventurous ideas.
In short: The entire trend in the Soviet Union was center-left. This was just a short summary insofar as one was able to discuss these things over the phone. He hoped to review all of this very soon during his next meeting with the Chancellor.
The Chancellor replied that he had a pretty precise idea about the difficulties of the President’s situation. He pledged again to turn to the public in order to elucidate them – Gorbachev could count on this.
G. expresses his thanks and refers to the mission of the two Undersecretaries, Dr. Köhler and Dr. von Würzen: The Chancellor had certainly had the chance to receive their report and he – G. – would be grateful if the Chancellor could take a benevolent position.
The Chancellor replies that he would discuss their report intensively. He asked Gorbachev to pay special attention to the current negotiations in Moscow on the construction of 3,000 apartments in four locations (within the framework of the transfer treaty). He – the Chancellor – recollected previous talks on this issue.
It was decisive that work on these apartments be finalized in time. It was self-evident that the Soviet side would place orders. However, the things that would now likely occur would not have beneficial effects. Thus, construction orders for the apartment in two of these places should be given to German general contractors – this was the only feasible way to guarantee quality. He asked the President to look into this issue again.
G. pledged to get a new briefing instantly - he had a variety of cabinet members with him.
The Chancellor and G. agreed to call each other in the week after next (after 12 May).
The Chancellor and G. exchange greetings - “also at home.”
The Chancellor concludes with the words: “The battle goes on.”
President Gorbachev replies: “The battle is eternal, and we could just dream to have quiet!”
[handwritten signature]
(Dr. Kaestner)
[1] BArch, B 136/59744, 250-254.
Kohl and Gorbachev discuss the ratification of the comprehensive German-Soviet Treaty as well as the situation in the Soviet Union.
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