July 2, 1991
The Chancellor's [Helmut Kohl's] Meeting with French President Mitterrand on Saturday, 29 June 1991, in Luxembourg
Abteilungsleiter 2 Bonn, 2. Juli 1991
V e r m e r k
Betr.: Gespräch des Herrn Bundeskanzlers mit dem französischen in Präsidenten Mitterrand am Sonnabend, dem 29. Juni 1991 in Luxemburg[1]
Präsident Mitterrand weist eingangs auf ein Interview der früheren britischen Premierministerin Thatcher hin, in dem sie sowohl Frankreich als auch Deutschland attackiere. Frau Thatcher werfe Frankreich vor, daß es nicht die Gefahr sehe, die von Deutschland für Europa ausgehe.
Präsident Mitterrand kommt sodann auf die Lage in Jugoslawien zu sprechen und erklärt, die jetzt eingetretene positive Wendung dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, daß es nach wie vor große Schwierigkeiten gebe. Die Erfahrung zeige, daß Jugoslawien in der Vergangenheit entweder durch eine Diktatur wie unter Tito oder durch eine brutale Zentralgewalt zusammengehalten worden sei. Es stelle sich jetzt die Frage, ob vor dem Hintergrund einer demokratischen Entwicklung ein freiwilliger Zusammenschluß noch möglich sei. Man könne jedenfalls die Jugoslawen nicht zwingen, zusammenzuleben. Man müsse aber versuchen, in eine Richtung zu gehen, die ihnen das Zusammenleben ermögliche, ohne daß eine Republik über die anderen die Vorherrschaft ausübe.
Es gebe nun einmal eine historisch bedingte Antinomie zwischen den verschiedenen Teilen Jugoslawiens, insbesondere zwischen Serben und Kroaten. Als er die Idee der Konföderation zur Diskussion gestellt habe, habe er u.a. an dieses Problem gedacht.
Wenn Jugoslawien auseinanderfalle - was wahrscheinlich sei - , dann werde dies auch die Sezessionsbewegungen in anderen Teilen Europas ermuntern. Man lebe aber jetzt im 20. Jahrhundert und könne nicht mehr auf die Kriterien des 18. oder 19. Jahrhunderts zurückgreifen. Man brauche ein System, das den Republiken ihre Freiheit gebe, aber sie gleichzeitig zusammen-halte.
Der Bundeskanzler wirft ein, man sei in dieser Frage sehr nahe beieinander. Jugoslawien sei in der Tat ein besonders negatives historisches Beispiel. Ideal wäre ein föderales System mit gemeinsamer Währung gemeinsamer Armee und entsprechender Kommandostruktur.
Präsident Mitterrand fährt fort, gleichzeitig müsse ein solcher Staat in ein breiter angelegtes System integriert werden, das eine Art Schiedsrichterrolle übernehme. Dies könne die KSZE nicht leisten, da sie nicht die entsprechende Erfahrung habe. Andererseits könne man nicht zu den Zeiten zurückkehren, als die Großmächte derartige Konflikte noch lösten. Im Gegenteil, man dürfe nicht vergessen, daß der Streit der Großmächte um ihre Einflußsphären in diesem Gebiet Anlaß für den Ersten Weltkrieg gewesen sei.
Der Bundeskanzler erklärt, die Menschenrechtskonvention des Europarates biete heute eine gute Grundlage für das Zusammenleben. Dies könne man in die Diskussion einbringen. Im übrigen handele es sich um eine europäische Frage, die auch von den Europäern selbst behandelt werden müsse.
Präsident Mitterrand stimmt nachdrücklich zu.
Der Bundeskanzler stellt die Frage, wie der Präsident die Entwicklung in Algerien beurteile.
Präsident Mitterrand erwidert, das Schicksal Algeriens stehe auf des Messers Schneide. Entweder gelinge es Präsident Chadli sich zu halten und auf dem Weg zur Demokratie weiterzugehen, oder die Fundamentalisten würden siegen. Hierbei dürfe man im übrigen nicht das Problem der Kabylen außer Acht lassen.
Nach seiner Einschätzung sei Chadli durchaus in der Lage, sich durchzusetzen, obschon die Fundamentalisten in den jüngsten Gemeindewahlen erfolgreich gewesen seien. Chadli habe großes Durchsetzungsvermögen gezeigt. Er habe seine eigene Partei von linksradikalen Elementen gesäubert und gleichzeitig die Fundamentalisten niedergehalten. Ein wichtiger Faktor im Kampf gegen die Fundamentalisten seien im übrigen die Frauen. Die Regierung habe also eine Reihe Trümpfe in der Hand und er gebe Chadli gute Chancen.
Auf eine entsprechende Frage des Bundeskanzlers erklärte Präsident Mitterrand, natürlich werde die Entwicklung in Algerien auch auf Tunesien positive Auswirkungen haben. Beide Länder hätten sich inzwischen versöhnt, aber Algerien habe selbstverständlich das größere Gewicht. In diesem Zusammenhang müsse man auch sehen, daß Gadhafi sich zurückhalte.
Wenn man gleichzeitig die positive Rolle von Mubarak in Rechnung stelle, könne man von einer insgesamt positiven Entwicklung ausgehen.
Auf die entsprechende Frage des Bundeskanzlers zu Marokko erklärt Präsident Mitterrand, auch im Falle Marokkos sei er optimistisch - immer unter der Voraussetzung, daß Chadli sich in Algerien durchsetze -, die marokkanischen Militärs seien im übrigen keine Integralisten, sondern auf den Westen ausgerichtet.
Der Bundeskanzler erklärt, es wäre auch für Europa außerordentlich erfreulich, wenn diese wichtige Region eine positive Entwicklung nehme.
Präsident Mitterrand stimmt zu und weist auf die beachtliche demographische Entwicklung hin. Allein Marokko, Tunesien und Algerien hätten insgesamt mehr als 100 Mio Einwohner.
Auf die entsprechende Frage des Bundeskanzlers erklärt Präsident Mitterrand, in Frankreich lebten rd. 1,5 Mio Marokkaner, Tunesier und Algerier - von denen im übrigen viele französischen Pass hätten. Hinzu käme allerdings noch eine hohe Dunkelziffer illegaler Einwanderer aus dem Maghreb. Das Problem sei, daß ein großer Teil der Einwanderer in Ballungszentren einiger französischer Großstädte konzentriert sei.
Präsident Mitterrand kommt sodann noch einmal auf das Thema Jugoslawien zu sprechen und erklärt, man müsse sich Gedanken über die Zukunft Europas vor dem Hintergrund dieser Entwicklung machen. Was sich in Jugoslawien abspiele, könne das übrige Europa nicht gleichgültig lassen. Wenn sich Slowenien abspalte, denke der spanische Ministerpräsident automatisch an Katalonien oder die Italiener an die Lombardei, wo es bemerkenswerte Autonomiebestrebungen gebe.
Der Bundeskanzler wirft ein, vielleicht dächten sie auch an Südtirol.
Präsident Mitterrand fährt fort, er wolle in diesem Zusammenhang auf den Vorschlag des Bundeskanzlers zurückkommen, demnächst ein Gespräch über Sicherheitspolitik zu führen.
Der Bundeskanzler erklärt, er sei in der Tat an einem solchen Gespräch sehr interessiert. Er halte es für außerordentlich wichtig, in dieser Frage rechtzeitig vor dem NATO-Gipfel und vor dem ER in Maastricht zu Lösungen zu kommen. Dabei müsse man auch mögliche Veränderungen in den USA in Rechnung stellen. Er wolle nur auf den japanischen Einfluß in Amerika hinweisen. Hinzu komme die Entwicklung in der Sowjetunion und die Gefahr, daß die Sowjetunion in Einzelstaaten zerfalle.
Präsident Mitterrand wirft ein, es sei abzusehen, daß auch Gorbatschow sich durch die Entwicklung in Jugoslawien sehr gestört sehe. Die große Schwierigkeit, vor der man stehe, sei der Widerspruch zwischen kurzfristiger und langfristiger Betrachtung. Dies lasse sich am Beispiel der NATO darlegen. Wenn er sage, daß die europäische Verteidigung gestärkt werden müsse, sei dies eine langfristige Überlegung. In den USA ziehe man aber daraus sofort den Schluß, daß Frankreich die Amerikaner aus Europa hinausdrängen wolle. Indessen müsse man beides zusammen sehen, um den Widerspruch aufzuheben.
Ähnliches gelte für die Entwicklung in Jugoslawien. Wenn man sich nur von einer kurzfristigen Betrachtung leiten lasse, erwecke man den Anschein, als ob man sich legitimen Rechten entgegenstelle. Was man brauche sei eine Synthese im Hegel'schen Sinne.
Der Bundeskanzler erklärt, es sei allerdings sehr schwierig, langfristige Überlegungen in einem System anzustellen, das sich alle vier Jahre Wahlen stellen müsse. Das gelte sowohl für Europa als auch für USA.
Präsident Mitterrand schließt mit der Bemerkung, Präsident Bush sei ein Glücksfall für Europa, wenngleich man den Eindruck haben müsse, daß die Weltmacht USA zunehmend zerbrechlicher werde.
Der Bundeskanzler stimmt dem mit dem Hinweis auf die Äußerung eines amerikanischen Verfassungsrechtlers zu, wonach die amerikanische Verfassung die beste der Welt sei mit Ausnahme der Bestimmungen über die Wahl der amerikanischen Präsidenten.
(Dr. Hartmann)
[1] BArch, B 136/59745, 203-206.
Head of Department 2 Bonn, 2 July 1991
M e m o r a n d u m
Subject: The Chancellor's Meeting with French President Mitterrand on Saturday, 29 June 1991, in Luxembourg[1]
President Mitterrand begins by referring to an interview with former British Prime Minister Thatcher in which she attacked both France and Germany. Mrs. Thatcher reproached France for not seeing the danger that Germany posed for Europe.
President Mitterrand then turns to the situation in Yugoslavia and says that the positive turnaround that had now occurred should not hide the fact that there were still great difficulties. Experience shows that in the past, Yugoslavia had been held together either by a dictatorship like under Tito or by a brutal central authority. The question now arose whether, against the background of a democratic development, a voluntary union was still possible. In any case, the Yugoslavs could not be forced to live together. But one must try to go in a direction that enables them to live together without one republic exercising dominance over the others.
There was a historical antinomy between the different parts of Yugoslavia, especially between Serbs and Croats. When he put the idea of the confederation up for discussion, he thought of this problem, among other things.
If Yugoslavia fell apart – which was likely – then this would also encourage secessionist movements in other parts of Europe. But one was now living in the 20th century and could no longer fall back on the criteria of the 18th or 19th century. One needed a system that gave the republics their freedom, but that kept them together at the same time.
The Chancellor interjects that they were very close together on this issue. Yugoslavia was, indeed, a particularly negative historical example. A federal system with a common currency, a common army, and a corresponding command structure would be ideal.
President Mitterrand goes on to say that, at the same time, such a state had to be integrated into a broader system that would take on a kind of referee role. The CSCE could not do this because it did not have the relevant experience. On the other hand, one could not go back to the times when the great powers were still resolving such conflicts. On the contrary, it should not be forgotten that the dispute between the great powers over their spheres of influence in this area gave rise to the First World War.
The Chancellor explains that the Council of Europe's Convention on Human Rights now offered a good basis for coexistence. This could be brought into the discussion. Moreover, it was a European question that must also be dealt with by the Europeans themselves.
President Mitterrand emphatically agrees.
The Chancellor queries how the President assessed the developments in Algeria.
President Mitterrand replies that the fate of Algeria was on the knife’s edge. President Chadli would either manage to hold on and continue down the path to democracy, or the fundamentalists would win. Incidentally, the problem of the Kabyle should not be disregarded here.
In his estimate, Chadli was quite capable of asserting himself, although the fundamentalists had been successful in the recent municipal elections. Chadli showed great assertiveness. He had purged his own party of left-wing extremists and had held the fundamentalists down at the same time. Incidentally, women were an important factor in the fight against fundamentalists. The government had a number of cards in hand and he gave Chadli good chances.
In response to a corresponding question from the Chancellor, President Mitterrand says that developments in Algeria would, of course, also have positive effects on Tunisia. The two countries had now reconciled, but Algeria naturally had the greater weight. In this context, one must also see that Gadhafi was holding back.
If one also took into account the positive role of Mubarak, one could assume an overall positive development.
In response to the Chancellor's question about Morocco, President Mitterrand says that he was optimistic in the case of Morocco, too – always provided that Chadli prevailed in Algeria –, the Moroccan military were not integralists, but oriented towards the West.
The Chancellor explains that it would also be extremely gratifying for Europe if this important region developed in a positive way.
President Mitterrand agrees and points out the remarkable demographic development. Morocco, Tunisia, and Algeria alone had a total of more than 100 million inhabitants.
In response to the Chancellor's question, President Mitterrand says that around 1.5 million Moroccans, Tunisians, and Algerians lived in France – many of whom, incidentally, had French passports. In addition, there was a high number of unreported illegal immigrants from the Maghreb. The problem was that a large proportion of immigrants were concentrated in the metropolitan areas of some of the major French cities.
President Mitterrand then returns to the subject of Yugoslavia and says that one had to think about the future of Europe against the background of this development. What was happening in Yugoslavia could not leave the rest of Europe indifferent. If Slovenia seceded, the Spanish Prime Minister automatically thought of Catalonia or the Italians of Lombardy, where there were remarkable aspirations for autonomy.
The Chancellor interjects that maybe they were also thinking of South Tirol.
President Mitterrand goes on to say that he would like to come back to the Chancellor's proposal to hold a discussion on security policy in the near future.
The Chancellor points out that he was, indeed, very interested in such a conversation. He considered it extremely important to find solutions to this question in good time before the NATO summit and before the ER in Maastricht. One also had to take into account possible changes in the USA. He just wanted to point out the Japanese influence in America. In addition, there was the danger that the Soviet Union would disintegrate into individual states.
President Mitterrand interjects that it could be foreseen that Gorbachev would also see himself greatly disturbed by developments in Yugoslavia. The great difficulty that one faced was the contradiction between short-term and long-term considerations. This could be illustrated using the example of NATO. When he said that European defense had to be strengthened, it was a long-term consideration. In the USA, however, the immediate conclusion was drawn that France wanted to push the Americans out of Europe. However, one had to see both together in order to remove the contradiction. The same applied to developments in Yugoslavia. If one were to be guided only by a short-term consideration, one would appear to be opposing legitimate rights. What was needed was a synthesis in the Hegelian sense.
The Chancellor explains that it was very difficult to make long-term considerations in a system that had elections every four years. This applied to both Europe and the USA.
President Mitterrand concludes with the remark that President Bush was a godsend for Europe, although one must have the impression that the world power USA was becoming increasingly fragile.
The Chancellor agrees with the remark by an American constitutional lawyer that the American constitution was the best in the world, with the exception of the provisions governing the election of American presidents.
(Dr. Hartmann)
[1] BArch, B 136/59745, 203-206.
Kohl and Mitterrand discuss the situation in Yugoslavia and Northern Africa as well as NATO and European security.
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Subjects Discussed
- France--Foreign relations--Germany
- France--Foreign relations--Great Britain
- Germany--Foreign relations--Great Britain
- Yugoslav War, 1991-1995
- Croatia--History--Autonomy and independence movements
- Algeria--Politics and government
- Algeria--History--Civil War, 1991-2002
- Algeria--Foreign relations--France
- France--Foreign relations--Tunisia
- France--Foreign relations--Morocco
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