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May 29, 1992

Meeting between Head of Department 2 Hartmann and President Aylwin’s Special Envoy, Ambassador Holger, on 27 May 1992

Referatsleiter 214                                                                                                            Bonn, den 29. Mai 1992

VLR I Dr. Ueberschaer

                                                                                               

V e r m e r k

Betr.: Fall Honecker

hier: Vermerk über das Gespräch zwischen AL 2, MD Dr. Hartmann, und dem Sonderbeauftragten von Präsident Aylwin, Botschafter Holger, am 27. Mai 1992 [1]

In dem Gespräch, an dem auch Botschafter Huneeus und der Unterzeichnende teilnahmen, berichtete Botschafter Holger über seine täglichen Kontakte mit Honecker in den vergangenen 10 Wochen.

Er habe in dieser Zeit Honecker zahlreiche Vorschläge gemacht, die ihm den Entschluß zu einer freiwilligen Rückkehr nach Deutschland erleichtern sollten. Honecker habe zu jedem dieser Vorschläge Vorbehalte geäußert und sie alle nach längerer Diskussion abgelehnt. Typisch sei Honecker's Verhalten gegenüber dem Vorschlag gewesen, eine Lösung nach Artikel 13 des Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte zu finden, der ihm die Möglichkeit gegeben hätte, gegen seine Rücküberstellung nach Deutschland durch die russische Regierung ein russisches Gericht anzurufen. Honecker habe sich zunächst bereiterklärt, im Falle einer Rechtswegzusage der Russen die chilenische Botschaft in Moskau zu verlassen, danach aber diese Zusage mit einer Reihe inakzeptabler Vorbehalte verknüpft.

Das gleiche Verhalten habe Honecker gegenüber dem Vorschlag gezeigt, sich von einer internationalen Ärztekommission untersuchen zu lassen, um sich ggf. auf deren Rat einer klinischen Behandlung zu unterziehen.

Bei dem in letzter Zeit noch gewachsenen Widerstand Honeckers dürfte die mittlerweile erfolgte Anklageerhebung eine wesentliche Rolle spielen. So habe Honecker - nachdem die Anklageschrift gegenüber den bisher bekannten weitere zusätzliche Anklagepunkte enthielt - seine Weigerung, freiwillig nach Deutschland zurückzukehren, damit begründet, daß ganz offensichtlich in Deutschland ein rechtstaatliches Verfahren gegen ihn nicht gewährleistet sei.

Honecker habe inzwischen die Hoffnung aufgegeben, nach Chile ausreisen zu können und strebe jetzt nach Nord-Korea, wo er damit rechne, von seinem alten Kampfgefährten Kim Il Sung angemessen aufgenommen zu werden.

Ein Problem, das die chilenische Seite zunehmend beunruhige, sei Honeckers Gesundheitszustand: er habe in den letzten 3 Wochen erheblich an Gewicht verloren; im Gegensatz zu ihm wünsche seine Ehefrau eine neue klinische Untersuchung, da es ihm offensichtlich schlecht gehe.

Um Honecker's Vorbehalte gegen einen Klinikaufenthalt abzubauen, habe ihm die chilenische Seite die erwähnte Untersuchung durch ein internationales Ärzteteam und einen anschließenden Aufenthalt in der einzigen privaten Klinik Moskaus - einem griechisch-russischen joint venture - vorgeschlagen, was er nach wie vor ablehne. Man könne jedoch nicht ausschließen, daß kurzfristig ein Notfall eintrete, der seine Einweisung in eine Klinik unabweisbar mache.

Gegenwärtig sei jedoch gegen Honecker's Starrsinn, in dem er von Botschafter Almeida unterstützt werde, wenig zu tun. Almeida werde jedoch Moskau im Juni d. J. einstweilen und Ende Juli endgültig verlassen, wodurch Honecker seinen bisherigen entscheidenden Schutzpatron verliere.

Dem chilenischen Vorschlag, zur Lösung des Falles eine dreiseitige Vereinbarung auf der Grundlage von Artikel 13 des Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte zu treffen, habe - außer Honecker - auch die russische Seite widersprochen.

Nach chilenischer Überzeugung sei Artikel 13 anwendbar, da Honecker's Aufenthalt in Rußland legal sei, auch wenn er illegal dorthin verbracht wurde. Die chilenische Regierung habe dies den Russen nachgewiesen (dieser Nachweis sei auch in dem non-paper enthalten, das die chilenische Seite der deutschen wie der russischen Regierung übermittelt habe). Der russische Vizeminister Kolokolov habe sich jedoch geweigert, diesen Weg zu akzeptieren, und zwar mit der verblüffenden Begründung, daß ein entsprechender Rechtsweg wegen mangelnder Rechtstaatlichkeit in Rußland noch nicht bestehe und daß außerdem die bilaterale Vereinbarung zwischen Präsident Jelzin und dem Bundeskanzler über die unmittelbare Rücküberstellung Honeckers etwaigen Verpflichtungen Rußlands aus Artikel 13 vorgehe.

Bei seinen Bemühungen um eine einvernehmliche rechtlich einwandfreie Lösung durch die drei beteiligten Regierungen habe er, Holger, nicht versucht, die deutsche oder die russische Grundhaltung in Frage zu stellen, sondern lediglich einen Kompromiß herbeizuführen. Dies sei ihm jedoch nicht gelungen. Da dieser Weg offenbar nicht weiterführe, kehre er jetzt für 10 Tage nach Chile zur Berichterstattung zurück. Danach werde man sehen, wie man weiter vorgehen könne. Präsident Aylwin wolle den Fall Honecker in jedem Falle bis zum Juli d. J. gelöst haben.

Das Hauptproblem sei, wie man Honecker physisch aus der Botschaft herausschaffen könne. Präsident Aylwin wünsche eine gewaltlose Übergabe an die Russen. Freiwillig sei Honecker jedoch nur unter nicht akzeptablen Vorbehalten bereit, die Botschaft zu verlassen.

Er, Holger, habe Honecker immer wieder klargemacht, daß er die Botschaft zu verlassen habe, und zwar eher früher als später. Er habe kein festes Datum genannt, aber deutlich gemacht, daß Honecker's Aufenthalt in der Botschaft nicht mehr als wenige weitere Monate betragen könne. Honecker habe dies nicht akzeptiert, aber hingenommen. Offenbar gehe er aber nach wie vor davon aus, daß Chile seine Dankesschuld für die Asylgewährung für 5000 Chilenen in der DDR zur Zeit der Pinochet-Herrschaft weiter abzutragen habe.

Honecker erweise sich als unflexibel, ja als halsstarrig; er argumentiere ideologisch, idealisiere das frühere DDR-System und bezeichne die Bundesregierung als faschistisches und revanchistisches Regime. Bisher habe er nie mit Suizid oder ähnlichem gedroht.

Zur Rechtfertigung seines Wunsches, in der Botschaft zu verbleiben, habe er kürzlich geäußert, daß er von den "Genossen in Berlin" eine Botschaft erhalten habe, wonach diese einem baldigen politischem Prozeß entgegensähen, der nur das Ziel habe, die frühere Führung der DDR zu diskreditieren.

Honecker's Kontakt zu seinen Anwälten vollziehe sich telefonisch über seine Ehefrau. Darüber hinaus habe er zahlreiche briefliche Verbindungen zur Außenwelt.

Er mache täglich Spaziergänge im Botschaftsgarten und werde hierbei stets von zahlreichen Journalisten beobachtet und fotografiert.

Da die von Chile angestrebte Lösung nach Artikel 13 des Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte nicht akzeptiert werde, wolle Chile auf weitere Versuche einer juristischen Lösung - etwa eine Befassung des IGH - verzichten.

Präsident Aylwin wolle jede weitere Verzögerung vermeiden und suche jetzt eine politische Lösung mit einem "juristischem Feigenblatt" - evtl. in Verbindung mit einem Klinikaufenthalt, von dem aus es für Honecker keine Rückkehr in die chilenische Botschaft mehr geben werde.

Honecker's Anwesenheit bedeute ein schweres Hindernis für das Funktionieren der chilenischen Botschaft in Moskau und sei eine Belastung für alle drei beteiligten Regierungen. Sicher sei, daß es zu einem "zweiten Fall Mindszenty" nicht kommen werde. Aufgabe der chilenischen Diplomatie sei es, Honecker's Verlassen der Botschaft ohne Gewaltanwendung zu bewerkstelligen.

Die öffentliche Meinung in Chile habe sich inzwischen beruhigt; dies hätten auch jüngste Umfrageergebnisse gezeigt. Er, Holger, werde am Montag, dem 31. Mai, nach Chile reisen, um dann anschließend über Frankfurt, wo er der Bundesregierung zu Gesprächen zur Verfügung stehe, wieder nach Moskau zurückzukehren.

AL 2 erklärte, daß er sehr daran interessiert sei, Holger nach Rückkehr aus Chile erneut zu einem Gespräch zu empfangen. Er nahm sodann Bezug zu dem Inhalt der jüngsten Botschaft des Bundeskanzlers an Präsident Aylwin. Entgegen anderslautenden Aussagen einzelner deutscher Politiker beabsichtige die Bundesregierung nicht, die Beziehungen zu Chile abzukühlen bzw. die entwicklungspolitische Zusammenarbeit einzufrieren. Dies sei insbesondere nicht die Politik des Bundeskanzlers.

Holger erklärte, daß auch die russische Regierung ganz offensichtlich das Problem Honecker loswerden wolle. Er habe ein sehr gutes Verhältnis zu Vize-Minister Kolokolov und zu seinem Gesprächspartner, Botschafter Forkin, entwickelt. Seine, Holger's Schlußfolgerung sei, daß das Haupthindernis für eine einvernehmliche Lösung im Charakter Honeckers liege. Er hoffe, mit konkreten Vorschlägen aus Chile zurückzukehren mit dem Ziel Honecker den Russen zu übergeben, die ihn dann umgehend nach Berlin rücküberstellen könnten.

(Dr. Ueberschaer)

 

[1] BArch, B 136/59730, 211-215.

Head of Division 214                                                                                                                        Bonn, 29 May 1992

VLR I Dr. Ueberschaer

                                                                                               

M e m o r a n d u m

 

Subject: Honecker Case

here: Meeting between Head of Department 2 Hartmann and President Aylwin’s Special Envoy, Ambassador Holger, on 27 May 1992 [1]

 

Holger used the conversation, in which the signee and Ambassador Huneeus participated, to report on his daily contacts with Honecker over the last 10 weeks.

During this time, he had approached Honecker with a variety of proposals attempting to facilitate his decision to return to Germany. Honecker had voiced reservations about all these suggestions, turning them down after long discussion. Honecker’s reaction toward the proposal for a solution according to Article 13 of the Pact on Civilian and Political Rights was typical. It would have given him the opportunity to call on a Russian court protesting his extradition to Germany. Initially, Honecker had declared his willingness to leave the Chilean embassy in Moscow via a legal commitment but had linked his consent with a series of unacceptable provisions.

Honecker had displayed similar behavior toward the proposition to have an international commission of physicians examine him to determine treatment.

More recently, Honecker’s resistance had even grown due to the indictment. For instance, after it became apparent that the bill of indictment included additional points, Honecker had justified his refusal to return to Germany by saying that that there was no guarantee for him to have a proper, constitutional legal proceeding in Germany.

Meanwhile, Honecker had given up his hopes for emigration to Chile. Now, he had aspirations for emigration to North Korea, assuming he would be appropriately welcomed by his former comrade Kim Il Sung

There was one problem that increasingly concerned the Chilean side, namely Honecker’s health condition. During the last 3 weeks, he had lost weight considerably. His wife wanted new medical examinations as it was apparent that he was not well.

To reduce Honecker’s reservations against a stay in hospital, the Chilean side had offered him a medical examination through an international team of physicians and a subsequent stay in Moscow’s only private clinic, a Greek-Russian joint venture. He had still refused this. They could not exclude an emergency case necessitating his treatment in hospital.

Currently, there was little that one could do to reduce Honecker’s stubbornness, which was even nurtured by Ambassador Almeida. In June, however, Almeida would be leaving Moscow ad interim and he would finally depart in July. Thus, Honecker would lose his decisive protector.

Moreover, the Russian side had also expressed opposition to the Chilean proposal for a solution through a tripartite accord based on Article 13 of the Pact on Civilian and Political Rights.

According to Chile’s position, Article 13 could be applied as Honecker’s stay in Russia was legal even though he had been brought there in an illegal way. The Chilean government had provided the Russians with evidence for their theory (this was also included in the non-paper that the Chilean side had sent both the German and the Russian governments). Russian Vice Minister Kolokolov had refused to accept this path, citing the stunning justification that such a legal option could not be used due to Russia’s lack of the rule of law. Moreover, he said that the bilateral agreement between President Yeltsin and the Chancellor on Honecker’s immediate transfer ran counter to Russia’s commitments under Article 13.

In trying to achieve a consensual and legally proper solution through the three involved governments, he, Holger had not tried to question the German or Russian positions. He had merely tried to facilitate a compromise. However, he had not succeeded. As this was not the way forward, he would now return to Chile for 10 days to report back. Thereafter, they had to figure out the best way for further procedures. In any case, President Aylwin wanted to resolve the Honecker case by July.

The main problem was physically getting Honecker out of the embassy. President Aylwin wanted a non-violent transfer to the Russians. However, Honecker was only willing to leave the embassy voluntarily under unacceptable preconditions.

He, Holger, had always told Honecker that he had to leave the embassy sooner, rather than later. he had not named a specific date, but had made it clear that Honecker’s stay at the embassy could not be extended for several further months. Honecker had not accepted this but acquiesced to it. Apparently, his assumption was that Chile still owed him something in return for his granting asylum to 5,000 Chileans in the GDR during the Pinochet regime.

Honecker turned out to be inflexible and even stubborn. His argumentation was ideological. He idealized the former GDR system and labelled the federal government as a fascist and revanchist system. So far, he had not threatened to commit suicide or similar things.

To justify his desire to stay at the embassy, he had recently claimed that he had received a message from "the comrades in Berlin," according to which they were awaiting trials which were aimed only at discrediting the former GDR. Honecker’s contacts with his lawyers were over the phone through his wife. Moreover, he had plenty of correspondence with the external world.

He went for a walk daily and was monitored and photographed by plenty of journalists.

As the envisaged solution based on Article 13 of the Pact on Civilian and Political Rights was not accepted, Chile would refrain from further legal efforts like the involvement of the International Court of Justice.

President Aylwin wanted to avoid any further delays and was now searching for a political solution with a "legal fig leaf,” perhaps in connection with a hospital stay, after which Honecker would not be permitted a return to the Chilean embassy.

Honecker's presence was a sever obstacle for the functioning of the Chilean embassy in Moscow and it was a burden for all three involved governments. It was certain that there would not be a "second Mindszenty case.” The task for Chile’s diplomacy was to ensure Honecker’s peaceful exit from the embassy.

Meanwhile, public opinion in Chile had calmed down. Recent opinion polls had shown this. He, Holger, would travel to Chile on Monday, 31 May, and he would then return to Frankfurt, where he would be available for talks.

Head of Department 2 says that he would be very interested in welcoming Holger for another meeting upon his return from Chile. He then referred to the Chancellor’s recent message for President Aylwin. Contrary to other statements, the federal government did not plan to cool down relations with Chile or to freeze development aid. This was certainly not the Chancellor’s policy.

Holger says that it was apparent that the Russian government also wanted to get rid of the Honecker problem. He had developed very good ties with Vice Minister Kolokolov and with his interlocutor, Ambassador Forkin. His conclusion was that Honecker’s character was the main obstacle for a consensual solution. His hope was that he could return from Chile with specific proposals to transfer Honecker to the Russians, who could transfer him instantly to Berlin.

(Dr. Ueberschaer)

 

[1] BArch, B 136/59730, 211-215.

Hartman and Holger discuss plans for Honecker's release from the Chilean embassy in Moscow and Honecker's refusal to return to Germany. 


Document Information

Source

BArch, B 136/59730, 211-215. Contributed, transcribed, and translated by Stephan Kieninger.

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Original Uploaded Date

2023-07-13

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Memorandum of Conversation

Language

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300170