May 29, 1992
Meeting between Head of Division 2 and a Delegation of the Hungarian Alliance of Free Democrats on 26 May 1992, 16:30 – 17:30 Hours
Referat 213 Bonn, den 29. Mai 1992
V e r m e r k
Betr.: Gespräch AL 2 mit einer Delegation der ungarischen Allianz der Freien Demokraten am 26. Mai 1992, 16.30 - 17.30 Uhr[1]
AL 2 begrüßt die Delegation, auch im Namen von Staatsminister Schmidbauer, der bedauert, daß er die Delegation kurzfristig nicht empfangen kann.
Istvan Szent-Ivanyi (S.-Z.) fragt nach der Zukunft der Beziehungen Ungarns zur Europäischen Gemeinschaft nach Abschluß des EG-Assoziationsabkommens. Das Assoziationsabkommen sei nicht in jeder Hinsicht befriedigend. Insbesondere im Agrarteil sei es für Ungarn eher nachteilig. Die von der EG gewährten Handelsvorteile für Agrarprodukte und Textilien träten erst später in Kraft. Obgleich es aussichtslos sei, Neuverhandlungen anzustreben, wäre doch zu überlegen, ob die EG nicht kleinere Zugeständnisse in der Form der Erweiterung der Quoten bzw. beim Abbau der Zölle machen könne. Immerhin seien 40 % des ungarischen Gesamtexportes auf den Agrar- und den Textilbereich konzentriert.
AL 2 äußert Verständnis für die ungarischen Petita, die sich durch den Wegfall der traditionellen Märkte im RGW-Bereich verschärft hätten. Er sagt zu, die Fachleute zu befragen, wie unsere Haltung und die anderer Staaten in dieser Frage sei. Auf jeden Fall gebe es aber die Möglichkeit, alle Fragen im Assoziationsrat zu erörtern. Er bitte um Verständnis, daß er vor Nachfrage bei den zuständigen Ressorts eine Unterstützungszusage für die ungarische Bitte nicht geben könne. Textil- und Agrarhandel seien sensitive Bereiche. D. stehe in der Liberalisierungsfrage an der Spitze aller EG-Partner.
Das Assoziationsabkommen sei der erste Schritt hin zum Beitritt der Assoziationspartner. Man werde auf dem Europäischen Gipfel in Lissabon eine Grundsatzdiskussion über die Erweiterung führen. Er sehe voraus, daß ab Mitte des Jahrzehnts ernsthafte Gespräche mit Ungarn, Polen und der CSFR über die Perspektive eines Beitritts geführt werden könnten. Als persönliche Meinung wolle er sagen, daß unter den drei genannten Ungarn wohl als erstes auf dem Weg sei, die Voraussetzungen für einen Beitritt zu erfüllen. Den Zeitpunkt für ein Beitrittsgesuch lege Ungarn fest und nicht die Gemeinschaft. Es könne allerdings nicht im ungarischen Interesse sein, zu einem Zeitpunkt beizutreten, in dem das Land noch nicht in der Lage sei, sich der internationalen Konkurrenz auszusetzen. Allerdings sei auch nach Beitritt eine Übergangsperiode vorhersehbar, bei der die ungarische Volkswirtschaft sich langsam dem Anpassungsdruck aussetzen könne. Spanien und Portugal hätten anläßlich ihres Beitritts hiervon sehr profitiert. Er sehe auch Chancen für Ungarn.
S.-I. sieht einen ungarischen Beitritt bis zum Jahre 2000 voraus. Ein vorzeitiger Beitritt wäre destruktiv: Es gebe verschiedene Stufen der Anpassung und des Beitrittsdruckes. Derzeit stelle er eine ungerechte Verteilung der Vor- und Nachteile fest. Weitere Zwischenstufen bis zum Beitritt seien notwendig. Das Assoziationsabkommen sei keine eigentliche Zwischenstufe.
AL 2 gibt zu bedenken, daß die Beitrittsperspektive zusammen mit den Wirtschaftsreformen dazu beitrügen, ausländisches Kapital anzuziehen. Er halte den ungarischen Wunsch einer Zwischenstufe für nicht völlig abwegig, da man mit den EFTA-Staaten in der Form des Europäischen Wirtschaftsraumes ähnlich verfahren sei. Mit Polen, Ungarn und der CSFR ließe sich ein Zwischenstufenmodell denken, das den Entwicklungsstand der jeweiligen Staaten Rechnung trüge. Wichtig sei, was die EG-Kommission hierzu sage. Er wolle auch diese Frage gern mit Fachleuten prüfen. Mit Rumänien und Bulgarien hingegen seien die Voraussetzungen für einen Assoziationsvertrag eigentlich nicht gegeben. Die Anbindung der neuen Demokratien an Europa stelle eine große Herausforderung für die Europäische Gemeinschaft dar, bei der viel Phantasie geboten sei. Die Beitrittsperspektive ziele realistischerweise auf Ungarn, Polen und die CSFR. Dies liege auch in besonderem Maße im deutschen Eigeninteresse einer Stabilisierung seiner direkten Nachbarschaft.
S.-I. bittet um eine Bewertung der sicherheitspolitischen Perspektiven. Gerade der Jugoslawienkonflikt offenbare Schwächen der ungarischen Sicherheit. Man könne sich nicht der NATO aufzwingen, wolle aber eine engere Zusammenarbeit mit den existierenden, funktionierenden Sicherheitsstrukturen.
AL 2 entgegnet, daß die neue Sicherheitsfrage in Europa neue Antworten erfordere. Die NATO sei eine Antwort auf eine bestimmte Form der Bedrohung gewesen. Heutzutage seien diffuse Sicherheitsrisiken wie in Jugoslawien und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten sowie bei der nuklearen Proliferation zu gewärtigen. Nicht zu vergessen sei auch die Bedrohung aus dem Mittelmeer- und dem nahöstlichen Raum. Es gehe darum, KSZE, NATO und WEU untereinander sinnvoll zu verbinden. Die NATO könne keine förmlichen Sicherheitsgarantien für die MOE-Staaten geben. Die KSZE-Maßnahmen griffen z. B. im jugoslawischen Konflikt nicht wirklich. Es gebe eine allgemeine Unschlüssigkeit, wie man mit militärischen Risiken fertig werde. Es sei eine ungeklärte Frage, wie man abschrecken solle, wenn politische und wirtschaftliche Sanktionen nicht griffen. Ungarn sei nicht wirklich militärisch gefährdet, wohl aber auch nicht gefeit gegen provokatorische Übergriffe. Ein Sicherheitsgewinn ergäbe sich für Ungarn jedoch schon durch seine Anlehnung an Europa.
Eine direkte Drohung mit militärischen Gegenmitteln seitens des Westens würde andere auf den Plan rufen. Zur Eindämmung Serbiens sei auch die Beteiligung Rußlands unabdingbar. Die eigentliche Gefahr des jugoslawischen Konfliktes bestehe in dessen Präzedenzwirkung. Wenn Serbien mit seiner Gewaltpolitik Erfolg habe, hätte dies auch Auswirkungen auf andere, die ähnlich dächten, aber bisher vor Aktionen zurückgeschreckt seien.
S.-I. weist auf den psychologischen Doppeleffekt hin, der von der allgemeinen Bedrohungsperzeption der Bevölkerung und von Provokationen herrührt. Wenn Milosevic wisse, daß es zu einer eindeutigen Reaktion komme, werde er sich zurückhalten.
AL 2 hebt hervor, daß Rest-Jugoslawien straflos operieren könne. Die Gefahr bei den neu entstehenden Staaten sei, daß dort der Eindruck erweckt
würde, als könne in jedem Staat nur eine ethnische Gruppe leben. Dies sei für die europäische Stabilität verheerend.
AL 2 dankt abschließend erneut für die ungarische Unterstützung beim Prozeß der deutschen Einigung, die unvergessen bleibe.
(Nikel)
[1] BArch, B 136/59730, 203-206.
Division 213 Bonn, 29 May 1992
M e m o r a n d u m
Subject: Meeting between Head of Division 2 and a Delegation of the Hungarian Alliance of Free Democrats on 26 May 1992, 16:30 – 17:30 Hours[1]
AL 2 greets the delegation, also on behalf of State Minister Schmidbauer, who very much regretted not having been able to welcome the delegation on such short notice.
Istvan Szent-Ivanyi (S.-I.) asks about the future of Hungary’s relations with the European Community following the conclusion of the EC Association Agreement. The Association Agreement was not satisfying in every respect. The part on agriculture, in particular, was rather disadvantageous for Hungary. The trade benefits in agriculture and textiles would only come into effect sometime later. Although it was hopeless to aim for new negotiations, they had to consider whether the EC could not perhaps make some small-scale concessions in terms of expanded quotas and the reduction of customs. At least 40% of Hungary’s overall exports were focused on agriculture and textiles.
AL 2 expresses understanding for Hungary’s petitions, which had worsened due to the loss of traditional markets in Comecon. He pledges to ask the experts about our position. In any case, there was the opportunity to discuss all questions in the Association Council. He asks for understanding that he could not make definite pledges prior to consultations with the relevant ministries. Textiles and agriculture were sensitive issue areas. In terms of liberalization, Germany was at the forefront of all EC partners.
The Association Agreement was the first step for the association partners to become full members. At the European Council in Lisbon, they would hold a debate on the principles of enlargement. He anticipated that they would begin negotiations on the perspective of membership with Hungary, Poland, and the CSSR by the middle of the decade. His personal opinion was that, among the three, Hungary was perhaps the first one which could fulfill all criteria for membership. Hungary, and not the Community, determined the timing of its official request for membership. At the same time, it could not be in Hungary’s interest to join the EC at a time when the country was not yet able to expose itself to international competition. However, they could certainly envisage a sort of transitory phase so that Hungary’s economy could get accustomed to the pressure for step-by-step adaptation. Spain and Portugal had very much benefitted from this. He saw a chance for Hungary to as well.
S.-I. envisions Hungarian membership by the year 2000. A premature accession would be destructive. There were a variety of levels in terms of adaption and accession pressure. Currently, he noticed an unequal distribution between the advantages and the disadvantages. There was a necessity for further intermediary steps until Hungary’s accession. The Association Agreement was not an intermediary step in the true sense.
AL 2 says that the combination of perspectives on accession and the economic reforms helped to attract foreign capital. He thought that Hungary’s request for another intermediary step was not unreasonable as they had pursued similar procedures with the EFTA states when they had created the Common Market. For Poland, Hungary, and the CSSR, they could aim at intermediary models, considering the status of developments in the individual states. It was important what the EC Commission’s position was on this. He was happy to investigate this with experts. In contrast, Romania and Bulgaria did not meet the preconditions for the start of an Association Agreement. It was an enormous challenge for the European Community to tie in the new democracies. This required a large degree of imagination. Realistically, the perspectives for accession were aimed at Hungary, Poland, and the CSSR. Germany had a special interest in the stabilization of its immediate neighborhood.
S.-I. asks for an assessment on the perspectives of security policy. The conflict in Yugoslavia particularly exposed the weaknesses of Hungary’s security. They could not force NATO to accept Hungary, but they wanted close cooperation with the existing and functioning security structures.
AL 2 replies that the new security question in Europe necessitated new responses. NATO had been one particular response to a certain form of threat. Today, we had to deal with vague security risks, such as those in Yugoslavia and in the Commonwealth of Independent States, as well as with nuclear proliferation. We must also consider the Mediterranean Sea and the Near East. The task was to link up CSCE, NATO, and WEU in reasonable ways. NATO could not give the CEE states formal security guarantees. The CSCE measures did not show any real effects in Yugoslavia. There was a sort of general indecision about how to best cope with military risks. It was an unresolved question that one should deter when political and economic sanctions did not show proper effects. Hungary was not directly threated in a military sense, but it was not secured against provocative assaults. Hungary could gain security through its association with the European Community.
A direct threat with military counter measures would wake the sleeping dogs in the West. It was essential to have Russia at one’s side in order to be able to contain Serbia. The true danger of the Yugoslavian conflict was the danger that it might be a precedent. If Serbia had success using a policy of force, this would have ramifications for others who thought along similar lines but had shied away from action thus far.
S.-I. points to the dual psychological effect resulting from the general threat perception of the population and from provocations. If Milosevic anticipated a clear reaction, he would show restraint.
AL 2 emphasizes that the rest of Yugoslavia could operate without punishment. The danger in the newly emerging countries was that they could have the impression that only one ethnic group could live in a state. This was devastating for Europe’s stability.
AL 2 again expresses his gratitude for Hungary’s support during the process of Germany’s unification, which would remain unforgotten.
(Nikel)
[1] BArch, B 136/59730, 203-206.
Hartman and Szent-Ivanyi review Hungary's desire for EU membership until the year 2000. Both agree on the necessity for further interim steps in this processs. They also discuss Hungary's potential NATO membership and the precarious state of Hungary's security given the war in Yugoslavia.
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