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May 7, 1990

Memorandum of Conversation Chancellor Franz Vranitzky – President François Mitterrand, Bordeaux

Gespräch des Herrn Bundeskanzlers mit Präsident Mitterrand

Das Gespräch des Herrn Bundeskanzlers mit Präsident Mitterrand fand am Rande der Jahrestagung des Internationalen Presse-Instituts statt, die von Präsident Mitterrand eröffnet wurde. Der Herr Bundeskanzler war eingeladen, ein Grundsatzreferat zum Thema „The Dawn of Democracy in Eastern Europe“ zu halten.

Der Herr Bundeskanzler eröffnete das Gespräch mit der Feststellung, er wolle gerne diese Gelegenheit benützen, um den Orientierungsrahmen für die österreichische Integrationspolitik und insbesondere die österreichischen Beitrittsbemühungen mit Präsident Mitterrand persönlich abzustecken. Die österreichische Bundesregierung, aber auch die Öffentlichkeit seien vom Bewußtsein bestimmt, daß Integration notwendig ist, nicht nur aus wirtschafts-politischen Überlegungen, sondern auch im Hinblick auf die Neuordnung der Kooperation in Europa. Österreich sei davon überzeugt, daß es nicht nur in ökonomischer, sondern auch in politischer Hinsicht einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung der Integration leisten können. Ebenso sei man sich dessen bewußt, daß Integration nicht nur Chancen, sondern auch die Übernahme von Pflichten beinhalte. In letzter Zeit hatten sich Spekulationen und Zeitungsartikel über Vorbehalte Frankreichs gegenüber der Aufnahme Österreichs gemehrt. Nach seinen Gesprächen mit französischen Politikern habe er eigentlich nicht diesen Eindruck gewonnen, und er sei daher an einer politischen Abklärung interessiert. Österreich bereite sich auf die Verhandlungen und die mögliche Mitgliedschaft gut vor. Selbstverständlich verstehe man, daß es in der EG Vorhaben gebe, die zuerst noch geklärt werden müßten. Österreich sei an einer individuellen Behandlung seines Antrags interessiert, und dürfe nicht mit anderen Staaten, die ein Beitrittsniveau noch lange nicht erreichen würden, in einen Korb getan werden. Auch dürften an die Tatsache, daß man in Österreich deutsch[1] spreche, keine Spekulationen angeknüpft werden, daß Österreich als etwas anderes als die Republik Österreich zur EG stoße.

Präsident Mitterrand erklärte, daß man auch bei der Erweiterung um Spanien und Portugal aus Bedenken, die von der Regierung Giscard d’Estaing vorgebracht wurden, noch eine negative Haltung Frankreichs konstruiert, als seine Regierung bereits eine positive Position zur Erweiterung bezogen hatte. Das seien nur Vorwände und Ausreden, in denen Frankreich vorgeschoben werde. Es gebe eine „volonté générale“, die EG derzeit nicht zu öffnen, zumindest bis die verschiedenen Vorhaben bis 1993 abgeschlossen seien. Auch würden alle „neuen Europäer“ zur EG drängen, das erschwere die Situation der Beitrittswerber. Zusätzlich gäbe es auch die Überlegung der Mitglieder, wie man alle anderen anstehenden Probleme lösen könne, wenn man sich jetzt öffne. Sicherlich gäbe es auch innerhalb der EG verschiedene Tendenzen. Er habe den Eindruck, daß zum Beispiel Großbritannien eine Auflösung der EG in eine große Freihandelszone anstrebe. Für Frankreich sei das unakzeptabel. Frankreich und die BRD würden auf ein durchorganisiertes Europa hinarbeiten. Österreich würde sich auf jeden Fall bis 1993 gedulden müssen.

Der Herr Bundeskanzler erwiderte, er wolle vor allem Verständnis dafür finden, daß Österreich auch für die Ziele eines vereinten Europas ein Partner sein könne. Es sei verständlich, daß sich die EG ihren eigenen Zeitplan festlege, das gäbe auch für Österreich ein klares Bild. Wichtig sei derzeit für Österreich die grundsätzliche Bereitschaft, mit Österreich zu verhandeln, nachdem die bestehenden Vorhaben abgeschlossen wurden.

Präsident Mitterrand erklärte dazu, es sei keine Frage, daß Österreich der erste Kandidat sei und auch alle Bedingungen erfülle. Bis Ende 1992 sei es schließlich nurmehr eine kurze Spanne, und wenn Österreich beitreten wolle, habe Frankreich nichts dagegen. Die Verhandlungen mit [der] EFTA hätten allerdings einige Schwierigkeiten aufgezeigt, und vor allem klargemacht, „daß man nicht alles behalten könne“. Die EG bringe sehr viele Auflagen mit sich, und Integration bedeute auch, auf Souveränität zu verzichten und sich gesamteuropäisch in Strukturen zu engagieren. Sicherlich brächte ein weiterer deutsch-sprechender Staat ein gewisses Ungleichgewicht in die EG, dieses müsse durch die politische Übereinstimmung ausgeglichen werden.

Der Herr Bundeskanzler knüpfte daran einige Anmerkungen zur Geschichte des deutsch-österreichischen Verhältnisses in diesem Jahrhundert und zur Entwicklung eines österreichischen Nationalbewußtseins. Präsident Mitterrand stellte dem die Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen gegenüber, und meinte, gewisse Reflexe der Vergangenheit müßten überwunden werden. Integration leiste dazu einen Beitrag, und die deutsch-französische Freundschaft sei heute eine Realität geworden.

Außenminister Dumas,[2] der an dem Gespräch teilnahm, drückte die Meinung aus, Österreich müsse sich in allen Bereichen und durch konkrete Aktivitäten als EG-Land profilieren, und unterstrich besonders die aktive Teilnahme an den Fernseh- und Medienprogrammen der EG, die Österreich angeboten wurde. Er faßte sodann für den Herrn Bundeskanzler sein Gespräch mit Außenminister Dr. Mock über die KSZE zusammen.

Der Herr Bundeskanzler unterstrich, daß Österreich als Gastgeber der KSZE-Beratungen selbstverständlich sehr engagiert und involviert sei, einen vernünftigen Weg für die Zukunft der KSZE zu finden. Präsident Mitterrand betonte nochmals das große Interesse Frankreichs an der Abhaltung der geplanten KSZE-Gipfelkonferenz, meinte aber, daß Wien die besten Voraussetzungen habe, permanenter Standort für KSZE-Institutionen zu werden.

 

[1] So im Original.

[2] Roland Dumas, Außenminister Frankreichs (1984–1986 & 1988–1993).

Meeting of the Chancellor with President Mitterrand

 

The meeting of the Chancellor with President Mitterrand took place alongside the annual meeting of the International Press Institute, which was opened by President Mitterrand. The Chancellor was invited to give a position paper on “The Dawn of Democracy in Eastern Europe.”

The Chancellor opened the conversation by stating that he would like to take this opportunity to set out the guidelines for Austrian integration policy and especially the Austrian efforts regarding accession with President Mitterrand personally. The Austrian government and public are determined by the awareness that integration is necessary not only for economic-political considerations, but also with regard to the reorganization of cooperation in Europe. Austria is convinced that it can make a significant contribution to the development of integration, not only in economic but also in political terms. Likewise, it is aware that integration includes not just opportunities, but also the assumption of obligations. Recently, speculation and newspaper articles had increased concerning France’s reservations about the accession of Austria. After his conversations with French politicians, he did not really gain that impression, and was therefore interested in political clarification. Austria is bracing itself well for the negotiations and possible membership. Of course, it understands that there are EC projects, which first still have to be clarified. Austria is interested in an individualized treatment of its application, and should not be thrown in one basket with other countries that would not reach a membership level for a long time. Although one speaks German in Austria, no speculations should be attached to Austria joining the EC as anything other than the Republic of Austria.

President Mitterrand explained, that also in the case of the [EC] accession of Spain and Portugal, the concerns raised by the government of Giscard d’Estaing, had been construed as a negative French attitude although his government had already taken a positive position to enlargement. Those are only pretexts and excuses, in which France is used. There is a “volonté générale” to not open the EC now, or at least not until the various projects are completed by 1993. Also, all “new Europeans” would push to join the EC, which would make the situation more difficult for candidate countries. Additionally, the members must consider how they can solve all the other issues at stake when they open now. Certainly, there were different tendencies within the EC. He has the impression that, for example, the UK aspires to a dissolution of the EC in a large free-trade area. This is unacceptable for France. France and the FRG will work toward a thoroughly organized Europe. Austria would have to be patient at least until 1993.

The Chancellor replied that he especially seeks the understanding that Austria might also be a partner for the goals of a united Europe. It is understandable that the EC sets its own timetable, which would also give Austria a clear picture. Currently important for Austria is the basic willingness to negotiate with Austria after the existing projects are completed.

President Mitterrand explained that there is no question that Austria is the first candidate and also fulfills all the conditions. Lastly, there is only a short amount of time until the end of 1992, and if Austria wants to join, France does not mind. Negotiations with EFTA[1] have however identified a number of difficulties, and above all made it clear “that one cannot keep everything.” The EC will bring a lot of stipulations with it, and integration also means renouncing sovereignty and engaging in pan-European structures. Another German-speaking country surely adds a certain imbalance to the EC, this must be compensated by political accordance.

The Chancellor tied to this a few comments on the history of the German-Austrian relationship in this century and the development of an Austrian national consciousness. President Mitterrand contrasted this with the development of Franco-German relations, and stated that certain reflexes of the past must be overcome. Integration contributed to this and the Franco-German friendship has become a reality today.

Foreign Minister Dumas[2] took part in the conversation and expressed the opinion that Austria must distinguish itself in all areas and concrete activities as an EC country, and particularly emphasized the active participation in television and media programs of the EC which has been offered to Austria. He then summarized for the Chancellor his talk with Foreign Minister Mock concerning the CSCE.[3]

The Chancellor underlined that Austria as host of the CSCE proceedings is very committed and involved of course, to find a reasonable way for the future of the CSCE. President Mitterrand reiterated the great interest of France to hold the planned CSCE summit conference,[4] but said that Vienna had the best conditions to become the permanent location for CSCE institutions.[5]

 

[1] On the initiative of the European Commission President Jacques Delors from 17 January 1989, the creation of the “European Economic Area” (EEA) should be promoted between the EC and the EFTA States. An agreement on the EEA was signed in Porto on 2 May 1992 and went into effect in 1994.

[2] Roland Dumas, Foreign Minister of France (1984–1986 & 1988–1993).

[3] Unfortunately, no record of conversation has yet been discovered.

[4] The CSCE summit was finally held in Paris from 19 to 21 November 1990.

[5] The secretariat of the Organization for Security and Co-operation in Europe is based in Vienna.

The document is a summary of a meeting between French President Francois Mitterrand and Austrian Chancellor Franz Vranitzky, and Vranitzky's ensuing presentation on democracy in Eastern Europe. This included Austria's duties and obligations to this process. Both ministers proceeded to reflect on their country's relationship with Germany both past and future.


Document Information

Source

Kreisky Archives, Depositum Franz Vranitzky, AP, box "BK Bayern 1991 BK USA 1990; BK Liechtenstein; BK Bulgarien; BK Bordeaux, London, Dublin; BK Düsseldorf; BK Schweden; BK Rumänien." Obtained and translated by Michael Gehler and Maximilian Graf.

Original Archive

Rights

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Original Uploaded Date

2017-10-11

Type

Memorandum of Conversation

Language

Record ID

165723