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May 8, 1990

Memorandum of Conversation Chancellor Franz Vranitzky – Prime Minister Margaret Thatcher, London

Gespräch des Herrn Bundeskanzlers mit Premierminister Margaret Thatcher

PM Thatcher eröffnete das Gespräch mit einer kurzen Darstellung der wirtschaftlichen und finanziellen Situation Großbritanniens, und kam dann auf die englischen Probleme mit dem Konzept einer europäischen Währungsunion, sowie auf die finanziellen Auswirkungen der deutschen Vereinigung auf dieses Projekt zu sprechen. Sie selbst erwartet zwar von der deutschen Vereinigung einen großen Modernisierungseffekt und Impulse für das Wirtschaftswachstum und die technologische Entwicklung Deutschlands, die aber erst mittel- bis langfristig zum Tragen kommen würden. In der Einschätzung dieser Konsequenzen gäbe es auch bei verschiedenen deutschen Politikern verschiedene Meinungen. Während Bundeskanzler Kohl die weitere Entwicklung sehr optimistisch und zuversichtlich beurteile, habe sie von Ministerpräsident Späth[1] zurückhaltendere Reaktionen bekommen.[2] Der Herr Bundeskanzler meinte dazu, dass sich seine eigene Einschätzung eher an der vorsichtigen Linie von Ministerpräsident Späth orientiere. Er sei zwar keineswegs pessimistisch, aber die bevorstehenden Aufgaben würden gelegentlich nicht über-, sondern unterschätzt.

Premierminister Thatcher meinte, dass auf jeden Fall mit einem Ansteigen der Zinssätze und einem inflationären Schub gerechnet werden müsste, der nicht ohne Auswirkungen auf die Währungen der anderen europäischen Staaten bleiben könnte. Das beeinflusse auch die englische Position gegenüber der europäischen Währungsunion. Zwar trete sie mit Nachdruck dafür ein, Kontrollen und Restriktionen soweit als möglich abzubauen, doch hätte sie Bedenken gegen eine absolute Freiheit des Kapitalverkehrs. Auch wäre das englische Parlament sicherlich nicht bereit, die Kontrolle über das Budget und die Finanzhoheit an eine Gruppe europäischer Bankiers abzutreten, die keinen demokratischen Kontrollen und keiner demokratischen Wahl unterworfen wären. Auch die anderen Probleme innerhalb der EG seien beträchtlich: der Binnenmarkt sei noch keineswegs beendet, und dazu habe man den deutschen Vereinigungsprozess vorgesetzt bekommen. Auch für das weitere Vorgehen der EG gegenüber der DDR sei strikte Kontrolle notwendig, es sei vor allem wichtig, dass keinerlei kommunistische Strukturen beibehalten würden. Die EG habe damit zu viele Probleme auf ihrem Programm, so dass sie nicht noch zusätzliche Fragen aufgreifen könnte. Es sei ihr bewusst, dass das eine gewisse Enttäuschung für Österreich sei, aber immerhin würde Österreich durch die Verhandlungen zwischen EG und EFTA[3] ja schon näher an die EG heranrücken können.

Der Herr Bundeskanzler führte dazu aus, dass Österreich ernsthaft in den EG und EFTA-Prozess eingeschaltet sei, dass jedoch dieser Prozess die Mitgliedschaft kaum ersetzen könnte. Österreich schreite in der Vorbereitung auf die EG-Mitgliedschaft gut voran, und habe bereits eine Menge interner Veränderungen durchgeführt. Österreich sei bereit und vorbereitet, auch die Verpflichtungen, die sich aus der EG-Mitgliedschaft ergeben, zu übernehmen. Österreich würde in mehrfacher Hinsicht zur Weiterentwicklung der Integration beitragen, sowohl in geographischer Hinsicht, wie auch wirtschaftlich und finanziell. Premierminister Thatcher führte dazu aus, dass in der EG niemand Nein zur österreichischen Mitgliedschaft gesagt habe, „It is just that we cannot digest it.“ Sie kam sodann auf die Entwicklungen in Osteuropa zu sprechen, die sie mit einer gewissen Beunruhigung verfolgen würde. Nationale Spannungen, religiöse Probleme, Probleme zwischen den einzelnen Staaten, fragwürdige Grenzen, und die allgemeine Verunsicherung von politisch, wirtschaftlich und ideologisch entwurzelten Menschen wären für diese Beunruhigung verantwortlich. In dieser Situation käme insbesondere der KSZE große Bedeutung zu, welche die Instrumente für die friedliche Beilegung dieser Probleme biete.

Der Herr Bundeskanzler meinte dazu, dass .auch er gewisse Entwicklungen in Osteuropa mit Sorge verfolge. Er sei zwar nicht pessimistisch, was die Lösung der anstehenden Probleme betreffe, doch sei es gefährlich, die Probleme nicht klar zu sehen und zu artikulieren. Vieles sei durch die neue Freiheit nach Jahren der Unterdrückung eine unvermeidliche Reaktion. Österreich verfolge mit besonderer Aufmerksamkeit die Entwicklungen in Jugoslawien. Eine Eskalation der inneren Probleme Jugoslawiens, womöglich bis hin zu einer Auflösung des Staatsverbands, würde ernste Konsequenzen und würde viele weitere Probleme nach sich ziehen. Österreich sei zusätzlich zu den internationalen Maßnahmen in allen osteuropäischen Staaten bilateral sehr engagiert, sowohl was wirtschaftliche Zusammenarbeit betreffe, wie auch kulturelle und soziale Fragen, und Österreich leiste eine Reihe von kleinen und stillen Vermittlungsaufgaben.

Premierminister Thatcher meinte dazu, dass ihrer Meinung nach zu einem Zeitpunkt, wo sich Osteuropa von der zentralen Lenkung und dem Dirigismus abwende, Westeuropa nicht eine Gegenbewegung eingehen könnte. Sie würde daher einer stärkeren Zentralisierung der EG und vor allem auch dem Konzept der politischen Union nicht zustimmen können, solange nicht völlig klar definiert sei, worin diese politische Union bestehen solle. Sorge bereite ihr vor allem, dass keine demokratische Kontrolle und keine demokratische Rechenschaftspflicht vorgesehen sei. Sie sehe die EG vor allem als eine Zusammenarbeit im wirtschaftlichen und finanziellen Bereich. Alle weiteren Maßnahmen müssten zuerst klar definiert werden. Mit Bezug auf die KSZE betonte Premierminister Thatcher, dass die KSZE Strukturen für ihre Zusammenarbeit brauchen würde. Ihrer Meinung nach müsse die NATO das Zentrum der westlichen Verteidigung bleiben. Die NATO sei das aktive Verteidigungsinstrument, und in der NATO sei auch die politische Struktur über den Atlantik hinweg durch die Zusammenarbeit mit den USA und Kanada gewährleistet, auf die sie größten Wert lege. In einem europäischen Sicherheitssystem, das in der KSZE seine Verankerung finden sollte, sehe sie vor allem die politische Rolle, mit der Sowjetunion zu konsultieren und zu kooperieren. Ihrer Meinung nach wäre es notwendig, dass sich die KSZE mindestens zweimal jährlich zusammentreten sollte.

 

 

 

[1] Lothar Späth, Ministerpräsident von Baden-Württemberg (1978–1991).

[2] Zum Besuch Späths bei Thatcher siehe Hans-Peter Mengele, Wer zu Späth kommt … Baden-Württembergs außenpolitische Rolle in den Umbruch-Jahren, (Tübingen/Stuttgart: Silberburg Verlag, 1995), 319–320, zu einem früheren Zusammentreffen siehe 306–307.

[3] Auf Initiative des EG-Kommissionspräsidenten Jacques Delors vom 17. Januar 1989 sollte die Schaffung des „Europäischen Wirtschaftsraumes“ (EWR) zwischen der EG und den EFTA-Staaten vorangetrieben werden. Ein Abkommen über den EWR wurde am 2. Mai 1992 in Porto unterzeichnet.

Meeting of the Chancellor with Prime Minister Margaret Thatcher

 

Prime Minister Thatcher opened the conversation with a brief presentation of the economic and financial situation of Great Britain, and then addressed British problems with the concept of a European monetary union as well as the financial impact of German unification on this project. Although she expects from German unification a big modernization effect, and impulses for economic growth and technological development in Germany, which would only come to fruition in the medium to long term. In the assessment of these consequences even opinions from various German differ. While Chancellor Kohl assessed the further development very optimistically and confidently, she also received more reserved reactions from Minister President Späth.[1] The Chancellor commented that his own assessment is more oriented to the cautious line of Minister President Späth. Although he is not pessimistic, the tasks ahead, are occasionally rather being underestimated than overestimated.

Prime Minister Thatcher said that one would of course have to reckon with an increase in interest rates and an inflationary push, which could not fail to affect the currencies of other European countries. This also influences the British position towards European Monetary Union. Although she insistently supports reducing controls and restrictions as far as possible, she has reservations about absolute freedom of capital movements. The British Parliament would certainly not be prepared to cede control of the budget and financial autonomy to a group of European bankers who would not be subject to democratic checks or democratic election. The other problems within the EU are also considerable: the single market is still far from completion, and on top of that one was forced to deal with the German unification process. Strict control is also necessary for further action by the EC towards the GDR, it is especially important that no communist structures are maintained. The EC has too many problems in its program, so many that it dares not take on any additional issues. She is aware that this is a certain disappointment for Austria, but nonetheless Austria would indeed move closer to the EC via the negotiations between the EC and EFTA.[2]

The Chancellor pointed out the fact that Austria is seriously involved in the EC and EFTA process, but that this process could hardly replace membership. Austria is making good strides in its preparation for EC membership, and has already made a lot of internal changes. Austria is willing and prepared to take on the obligations arising from EC membership. Austria would contribute in various ways to the further development of integration: geographically as well as economically and financially. Prime Minister Thatcher pointed out the fact that no one in the EC has said no to Austrian membership, “It is just that we can not digest it.” She then mentioned that she is following the developments in Eastern Europe with a certain uneasiness. National tensions, religious problems, problems between individual countries, questionable borders, and the general uncertainty of politically, economically and ideologically uprooted people are cause for this concern. In this situation, the CSCE is of great importance, offering the instruments for the peaceful settlement of these problems.

The Chancellor commented that he also follows certain developments in Eastern Europe with concern. Although he is not pessimistic concerning the solution of the problems at issue, yet, it is dangerous not to see clearly the problems and not to articulate them. Much of this is an inevitable reaction due to the new freedom after years of suppression. Austria is following with particular attention the developments in Yugoslavia. An escalation of the internal problems of Yugoslavia, possibly to the point of dissolving the state union, would have serious consequences and add many more problems. In addition to the international measures Austria is also bilaterally very involved in the in all Eastern European states, concerning economic cooperation, as well as cultural and social issues, and Austria renders a number of small and quiet mediation tasks.

Prime Minister Thatcher mentioned her opinion that when Eastern Europe turns away from central steering and statism, Western Europe could not enter into a counter-movement. She would therefore not be able to agree to a greater centralization of the EC and especially not to the concept of political union, as long as it is not defined completely clearly what this political union should consist of. She is especially worried that no democratic control and no democratic accountability is provided. She sees the EC primarily as a co-operation in the economic and financial area. All further measures must be clearly defined first. Concerning the CSCE, Prime Minister Thatcher stressed that the CSCE would need structures for their cooperation. In her opinion, NATO must remain the center of Western defense. NATO is the active instrument of defense, and NATO is also the political structure, which guarantees cooperation across the Atlantic with the US and Canada, to which she attaches the greatest importance. In a European security system that should find its anchoring in the CSCE, she mainly sees the political role to consult and cooperate with the Soviet Union. In her opinion, it would be necessary for the CSCE to meet at least twice a year.

 

[1] Lothar Späth, Minister President of Baden-Württemberg (1978–1991) whom she had met recently.

[2] On the initiative of the European Commission President Jacques Delors from 17 January 1989, the creation of the “European Economic Area” (EEA) should be promoted between the EC and the EFTA States. An agreement on the EEA was signed in Porto on 2 May 1992 and went into effect in 1994.

The document contains a conversation between Chancellor Franz Vranitzky and Prime Minister Margaret Thatcher. Thatcher begins with the state of internal affairs in Great Britain then relates its position to the European Union and role in German Unification. The conversation then turns to the role of Austria and its effort to join the European Commission. In the wake of problems in Eastern Europe, Thatcher stresses her preference for Western Europe to avoid involving itself in the counter movements.


Document Information

Source

GZ. 706.02/119-II.1/90, Kreisky Archives, Depositum Franz Vranitzky, AP, box "BK Bayern 1991; BK USA 1990; BK Liechtenstein; BK Bulgarien; BK Bordeaux, London, Dublin; BK Düsseldorf; BK Schweden; BK Rumänien." Obtained and translated by Michael Gehler and Maximilian Graf.

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Original Uploaded Date

2017-10-11

Type

Memorandum of Conversation

Language

Record ID

165724