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February 5, 1991

Meeting between the Head of the Federal Chancellery, Federal Minister Rudolf Seiters, and the Ambassador of the Republic of Poland, Janusz Reiter, Tuesday 5 February 1991, 15.00 - 15.40 hours

GL 21                                                                                                                                                    

Bonn, 5. Februar 1991

V e r m e r k

Betr.: Gespräch des Chefs des Bundeskanzleramtes, BM Rudolf Seiters, mit dem Botschafter der Republik Polen, Janusz Reiter, Dienstag, 5. Februar 1991, 15.00 - 15.40 Uhr[1]

 

BM Seiters begrüßt Botschafter Reiter und wünscht ihm für seine Bonner Tätigkeit allen Erfolg.

Botschafter Reiter dankt für die guten Wünsche und spricht folgende Themen an:

Fortsetzung der deutsch-polnischen Vertragsverhandlungen. Nach der Vereinbarung des Bundeskanzlers mit dem früheren polnischen Ministerpräsidenten Mazowiecki hätte der Vertrag über gute Nachbarschaft und partnerschaftliche Zusammenarbeit bis Ende Januar/Anfang Februar fertigverhandelt sein sollen. Nunmehr stehe man - Anfang Februar - vor einem noch unvollendetem Vertrag, bei dem insbesondere die Passage über die deutsche Minderheit fehle.

Die polnische Seite erwarte nunmehr einen deutschen Terminvorschlag und bitte darum, bereits vorab die deutschen Textvorschläge zur Minderheitenfrage zu übermitteln.

Deutsche Minderheit: In Polen herrsche eine gewisse Besorgnis und Unruhe hinsichtlich der deutschen Minderheit in Oberschlesien. Dies sei in der Tat ein regionales, oberschlesisches Problem. Im Verhältnis etwa der Pommerschen Landsmannschaft zu den Pommern gebe es keine Probleme, vielmehr habe man sich in einem gestrigen Gespräch mit dem Vorstand der Landsmannschaft über ein "Modell der Zusammenarbeit der Vertriebenen mit Polen" geeinigt.

Was die deutsche Minderheit brauche, sei praktische Hilfe Sprachunterricht, Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen, Sanierung der Umwelt. Die politischen Probleme seien im Ansatz gelöst, für noch offene Fragen könne und werde man im Einvernehmen mit der polnischen Umgebung" gute und tragfähige Lösungen finden. Demgegenüber werde in Oberschlesien (sc. vom Bund der Vertriebenen und der Schlesischen Landsmannschaft) Politik gemacht, und zwar aus einer Monopolposition. Nach polnischer Auffassung sollten in Oberschlesien auch andere politische Organisationen und Verbände wirken und auch die Medienvielfalt hergestellt werden.

BM Seiters drückt seine Befriedigung über die positive Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen aus. Die von Botschafter Reiter angesprochenen Themen seien in der Tat für viele unserer Mitbürger sehr sensibel. Aber es gebe klare politische Entscheidungen, an denen der Bundeskanzler nie einen Zweifel gelassen habe:

- eindeutige Erklärung zur Grenze;

- eindeutiger Wunsch nach einem umfassenden Vertrag;

- Vorbild: Deutsch-französisches Verhältnis.

Er - BM Seiters - habe keinen Zweifel, daß alles programmgemäß laufen werde. Die Fragen der Minderheit spielten auch für uns eine große Rolle, jedoch sehe er nach der Gemeinsamen Erklärung des Bundeskanzlers mit MP Mazowiecki vom November 1989 keine wirklichen Probleme mehr.

Wegen des Wechsels des Verhandlungsführers auf unserer Seite habe man noch keinen Termin für weitere Vertragsverhandlungen benennen können - er wolle aber dieses Gespräch zum Anlaß nehmen, der Frage nachzugehen.

Im übrigen begrüße er sehr, daß von polnischer Seite ein vernünftiges Verhältnis zu den Vertriebenen gewünscht werde.

Botschafter Reiter bekräftigt dies. Man müsse die Möglichkeiten realistisch einschätzen. Ein "Recht auf Heimat" sei kein juristischer, vielleicht ein moralischer Begriff. Jedenfalls könne man nicht mit dieser Begründung ein Rückkehrrecht in das heutige Polen fordern. Dies werde vielleicht künftig im Rahmen eines polnischen Beitritts zur Europäischen Gemeinschaft lösbar. Die Botschaft werde derzeit von Briefen überhäuft, in denen gefragt werde, wann das Eigentum konkret zurückerstattet werde. Hier könne er nur freundlich auf die polnische Rechtslage hinweisen, daß dieses nicht zur Debatte stehe. Im übrigen sei das Problem der Deutschen in Polen heute enttabuisiert. Es gebe auch nicht ein Problem der Vertriebenen, sondern das Problem einiger Vertriebenenpolitiker und ihrer Aktivitäten in Oberschlesien.

Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus der früheren DDR und aus Polen: Der Botschafter verdeutlicht den Stellenwert des Problems in der polnischen Politik und Öffentlichkeit und schildert am Beispiel der an der Grenze festgehaltenen 200 LKW - Geschenk an die Russisch-Orthodoxe Kirche aus Beständen der früheren NVA - das Irritationspotential: Tatsächlich seien entgegen den Behauptungen von sowjetischer Seite die Voraussetzungen für einen Transit durch Polen nicht gegeben: Kennzeichnung als humanitäre Hilfeleistung, KfZ-Kennzeichen, Versicherungsnachweis.

Dies alles - so Botschafter Reiter - sei aber nur ein Vorgeschmack dessen, was in der Truppentransitfrage noch kommen könne.

In den polnisch-sowjetischen Verhandlungen über Truppenabzug herrsche Stillstand. Die sowjetische Seite zeige keinerlei Entgegenkommen und spreche überdies mit zwei Zungen: die Diplomaten geschäftsmäßig, einige Militärs aber in der offensichtlichen Absicht, die Polen zu provozieren.

Dabei erwarte - so der Botschafter weiter - Polen von uns keineswegs, daß wir für die Polen verhandelten, erwünscht aber sei deutsches Verständnis für die polnische Position, auch in unserer Öffentlichkeit, damit in Polen nicht das Gefühl entstehe, man werde auf beiden Seiten nicht verstanden. Dies rühre an historische Empfindlichkeiten und werde auch den deutsch-polnischen Beziehungen nicht zugute kommen.

BM Seiters erwidert, er habe den Botschafter gut verstanden - in der Tat aber könnten wir uns, wie vom Botschafter auch selbst festgestellt, nicht in die Verhandlungen zwischen Polen und der SU einmischen.

Er fragt nach der Einschätzung der Lage in den baltischen Staaten.

Botschafter Reiter bezeichnet die Lage als widersprüchlich. Er selbst halte die polnisch-sowjetische Grenze auch für die «Grenze eines Rückfalls"(s.c. in autoritäre Strukturen) - dies sei aber keine Sicherheitsgarantie für Polen. Im Gegenteil sähen viele Menschen den Zusammenhang zwischen den Ereignissen im Baltikum und dem Problem der sowjetischen Truppen in Polen. Derartige Befürchtungen würden verschärft, wenn die sowjetische Seite hinsichtlich der UGT keine verbindlichen Rückzugstermine nenne, eine Verknüpfung mit dem Abzug der WGT lasse und de facto behaupte, zur Sicherung des WGT Transits benötige man sowjetische Raketentruppen auf polnischem Boden!

Hinsichtlich des Baltikums gebe es starke emotionale Bindungen, vor alle im Verhältnis zu Litauen. Gleichwohl werde die Politik Landsbergis' nicht unkritisch kommentiert. Es gehe nicht um ein Problem von Gut und Böse, sondern um Fragen der Machbarkeit. Was die polnische Haltung angehe, so wolle man die Sowjetunion nicht provozieren (Zitat Walesa),

Der Botschafter erkundigt sich nach der Einschätzung von BM Seiters nach dem Abzug der WGT und der Verläßlichkeit bzw. Berechenbarkeit der sowjetischen Politik allgemein.

BM Seiters betont, wir gingen unverändert davon aus, daß beide Seiten ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllten. Insbesondere setzten wir auf baldige Ratifizierung des „2+4-Vertrages" und der bilateralen Verträge mit der Sowjetunion, wobei er den Stand der Dinge im Obersten Sowjet im Gegensatz zum 1. Wiener KSE-Abkommen - als gutes Vorzeichen ansehe.

Was die Frage eines vorzeitigen Abzugs angehe, so wolle er ihn nicht ausschließen, er sei aber Angelegenheit der sowjetischen Regierung.

Hinsichtlich des Baltikums habe der Bundeskanzler sich in seiner Regierungserklärung sehr klar ausgedrückt. Wir wünschten keinen Rückfall, weder dort noch in der Sowjetunion allgemein. Wir hofften, daß die Situation im Baltikum sich beruhige und die Prinzipien der Charta von Paris dort angewandt würden.

Botschafter Reiter verdeutlicht erneut die Hoffnung auf unser Verständnis für die polnische Position in der Frage des Truppenabzugs und -transits.

Auf Frage des Botschafters, ob nach Unterzeichnung des sog. Umfassenden Vertrags eine rasche Befassung des Parlaments geplant sei, antwortet BM Seiters, er sehe hier kein Problem: Natürlich erforderten dieser sowie der Grenzvertrag eine sorgfältige Debatte in würdiger Form, andererseits dürften beide Vertragswerke eine breite Mehrheit im Deutschen Bundestag finden.

BM Seiters verabschiedet den Botschafter mit erneuten guten Wünschen.

 

(Dr. Kaestner)

 

[1][1] BArch, B 136/59744, 8-12.

Head of Group 21                                                                                                            

Bonn, 5 February 1991

 

M e m o r a n d u m

 

Subject: Meeting between the Head of the Federal Chancellery, Federal Minister Rudolf Seiters, and the Ambassador of the Republic of Poland, Janusz Reiter, Tuesday 5 February 1991, 15.00 - 15.40 hours

Federal Minister Seiters welcomes Ambassador Reiter and wishes him the best of success for his work in Bonn.

Ambassador Reiter thanks the Federal Minister Seiters for his good wishes and in turn addresses the following issues:

Continuation of the German-Polish negotiations. Following the arrangements between the Chancellor and former Polish Prime Minister Mazowiecki, both sides had initially planned to conclude the treaty on good neighborliness and cooperative partnership in due time. Now – in early February - one was faced with an unfinished treaty lacking, in particular, the relevant passage on the German minority.

The Polish side was expecting a German date proposal and asked to receive German text proposals on the minority question in advance.

German minority: There was a certain concern and unrest in Poland with regards to the German minority in Upper Silesia. This was, indeed, a regional, upper-Silesian problem. For instance, there were no problems in the relationship with the Pommeranian countrymen. Rather, in yesterday’s meeting with the board of the Pommeranian Landsmannschaft, one had agreed on "model of cooperation with the expellees in Poland."

What the German minority needed was practical assistance, language training, improvements in living conditions and environmental restoration. The political problems had been resolved to some extent - it would be possible to resolve open question in consultations with local Polish authorities. In contrast, the association of expellees and the Silesian Landsmannschaft used the monopoly position in Silesia for political purposes. Poland’s idea was that there should be other political organizations and associations as well guaranteeing media diversity.

Federal Minister Seiters expresses his satisfaction about the positive development in German-Polish relations. Ambassador Reiter raised several truly sensitive issues – but there were clear political decisions which the chancellor had never left in doubt:

- explicit declaration of the frontier;

- explicit desire to have a comprehensive treaty;

- role model: Franco-German relationship.

He – Federal Minister Seiters – did not have any doubts that everything would turn out as planned. We attached great importance to the minority issues, but he did not identify any further, severe problems after the joint November 1989 declaration by the Chancellor and Prime Minister Mazowiecki.

We were not able to name further dates for negotiations due to the change in our delegation head. He wanted to seize the occasion of our talk to keep track of it. Moreover, he welcomed the fact that the Polish side aimed to establish a sensible relationship with the expellees.

Ambassador Reiter underlines this. One had to be realistic about one’s opportunities. The "right for a homeland" was not a legal term, perhaps it was a moral term. In any case, nobody could use this justification for demands to return to today’s Poland. It might be that this question could be resolved in the context of Poland’s accession to the European Community.

Currently, the embassy was flooded with letters asking for restitutions of property. He could merely refer to Polish legislation: This issue could not be debated. Moreover, the problem of Germans in Poland was no longer a taboo. The problem was not the expellees as such but rather some expellee politicians and their activities in Upper Silesia.

Withdrawal of Soviet Troops from the former GDR and Poland: The Ambassador reiterates the importance of the problem in Polish politics, detailing its potential for irritations through the example of 200 trucks which were stopped at the border carrying goods from the former East German army as a present for the Russian-Orthodox church. In fact, contrary to Soviet allegations, the conditions for transit through Poland were not met: Labelling as humanitarian assistance, license plate, certificate of insurance. But this was just a foretaste for the things that would emerge with regards to the question of troop transit.

The Polish-Soviet negotiations on the troop withdrawal were stuck. The Soviet side did not show any readiness for concessions and was talking with two tongues: The diplomats businesslike and some military representatives with the intention to provoke Poland.

The Ambassador continues saying that Poland did not expect us to negotiate on their behalf. They were merely asking for German understanding for their position, also in public, in order to avoid the impression that Poland was not understood in Germany. This touched a sensitive point in Poland’s historic vulnerabilities and would not help German-Polish relations.

Federal Minister Seiters replied that he completely understood the Ambassador. As the Ambassador had said, we could, indeed, not get involved in the negotiation between Poland and the Soviet Union.

He then asked for an assessment of the situation in the Baltic States.

Ambassador Reiter described the situation as ambivalent. He himself saw the Polish-Soviet border as the “frontier of a relapse" (in authoritarian structures) – this was not a security guarantee for Poland. To the contrary, many people saw the link between the developments in the Baltics and the problem of Soviet troops in Poland. This kind of anxiety was further triggered as the Soviets did not name a specific date for their withdrawal, linking the question to the withdrawal of Soviet troops from East Germany and claiming that they needed Soviet missiles forces on Poland’s territory in order to ensure the safety of Soviet troops during their transit!

With regards to the Baltics, there were strong emotional ties, particularly in relations with Lithuania. At the same time, Landsbergis' policy was not commented on without criticism. This was not a problem between good and evil, but a question of feasibility. With regards to Poland’s position, one did not want to provoke the Soviet Union (quote Walesa).

The Ambassador inquires about Federal Minister Seiters‘ assessment of the withdrawal of Soviet forces from East Germany questioning the reliability and predictability of Soviet politics in general.

Federal Minister Seiters reiterates our continued belief in Soviet compliance with regards to their contractual obligations. We counted on the prompt Soviet ratification of the "2+4 Treaty" and the bilateral treaties with the Soviet Union. In contrast to the first Vienna CFE agreement, the state of affairs in the Supreme Soviet was a good omen. He did not want to exclude an early Soviet withdrawal, but this was a matter for the Soviet government to decide.

With regards to the Baltics, the Chancellor had clearly stated his position in his government declaration. We did not want a relapse, neither in the Baltics nor in the Soviet Union in general. Our hope was that the situation in the Baltics calmed down and that the principles of the Paris Charter were complied with.

Ambassador Reiter again underlines Polish hopes for our understanding of Poland’s position in the question of troop withdrawals and troop transit.

In response to the Ambassador’s question about an early parliamentary discussion after the ratification of the German-Soviet treaty, Federal Minister Seiters replied that he did not envisage any problems. It goes without saying that the treaty and the border treaty necessitated a thorough debate in a dignified manner – at the same time, both treaties should find broad approval in the Bundestag.

Federal Minister Seiters sends the Ambassador off repeating his good wishes.

 

[handwritten signature]

(Dr. Kaestner)

Seiters and Reiter discuss the standstill in the Polish-Soviet negotiations on the withdrawal of Soviet troops from Poland.


Document Information

Source

BArch, B 136/59744, 8-12. Contributed, transcribed, and translated by Stephan Kieninger.

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Original Uploaded Date

2023-01-23

Type

Memorandum of Conversation

Language

Record ID

300105