September 6, 1991
The Chancellor's [Helmut Kohl's] Conversation with Soviet President Mikhail S. Gorbachev, Thursday, 5 September 1991, 13:15 until 13:30 hours
Abteilungsleiter 2 i.V. Bonn, den 6. September 1991
MDg Dr. Kaestner
V e r m e r k
Betr.: Gespräch des Herrn Bundeskanzlers mit dem sowjetischen Staatspräsidenten Michail S. Gorbatschow Donnerstag, 5. September 1991, 13.15 bis 13.30 Uhr[1]
Nach freundschaftlicher Begrüßung erwähnt Staatspräsident Gorbatschow, er habe den Bundeskanzler gestern im Fernsehen gesehen, wie er über die Situation in der Sowjetunion gesprochen habe.
Der Bundeskanzler hofft, dies sei im Sinne des Präsidenten gewesen - und dieser erwidert, leider sei der gezeigte Ausschnitt nur kurz gewesen.
Auf Frage des Bundeskanzlers berichtet Staatspräsident Gorbatschow sodann über die jüngste politische Entwicklung:
Vor einer halben Stunde sei der Kongreß der Volksdeputierten mit einer Entscheidung zu Ende gegangen, die in der Erklärung des Staatspräsidenten und der Führer der zehn Republiken bereits vorgezeichnet worden sei. Es sei eine Übergangszeit in Gang gesetzt worden. Nächste Aufgabe sei nunmehr, den Unionsvertrag fertig zu verhandeln. Dabei werde den jeweiligen Republiken eine Differenzierung hinsichtlich der Art ihrer Teilnahme eingeräumt. Wichtig sei allerdings, daß ein gemeinsamer Wirtschaftsraum erhalten bleiben. Zu diesem Zweck werde ein neues Wirtschaftsabkommen zwischen allen Republiken geschlossen.
Jetzt werde die Militärreform verwirklicht, die Armee insgesamt aber erhalten. Unterstrichen worden sei auch, daß die Sowjetunion alle internationalen Verpflichtungen einschließlich derer zur Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie die Außenwirtschaftsverpflichtungen einhalten werde.
Nicht zuletzt seien neue Staatsstrukturen geschaffen worden: Der neue Oberste Sowjet werde aus zwei Kammern bestehen. Die erste Kammer werde die höchste sein; sie werde aus Delegierten bestehen, die von den Republiken nach einer gewissen Quote entsandt würden. Die zweite Kammer sei die der Union. Diese werde von Grund auf erneuert. Schließlich werde ein Staatsrat geschaffen, gebildet aus Staatspräsident - als Vorsitzendem - und den Führern der Republiken. Bei ihm liege die oberste Leitung der Außenpolitik und der Wirtschaftsangelegenheiten. Für die Weiterführung der Wirtschaftsreformen sei ein interrepublikanisches Wirtschaftskomitee eingesetzt worden.
Zentrale Organe wie das Verteidigungsministerium, das Außenministerium, das Innenministerium, das KGB und der Sicherheitsrat seien dem Staatspräsidenten und dem Staatsrat unterstellt.
Nunmehr habe man eine Basis erreicht, von der man, ohne Zeit zu verlieren, die Dinge konsolidieren und stabilisieren könne. Insgesamt habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß alle auf einem neuen Niveau zusammenarbeiten müßten - gemeinsam!
Der Präsident dankt dem Bundeskanzler für die Unterstützung dieses Kurses.
Morgen - so der Präsident weiter - werde sich der Staatsrat in seiner ersten Sitzung mit den baltischen Staaten beschäftigen.
Ferner sei bereits eine Reihe von Dokumenten verabschiedet, die es erlaubten, daß gemeinsam und abgestimmt zwischen Union und Republiken weiter gehandelt werde. Die nächsten Ziele seien nunmehr die Ausarbeitung des Unions-Vertrages, die Erarbeitung einer neuen Verfassung, dann die Neuwahl.
Auf die Frage des Bundeskanzlers, ob dabei Präsident und Parlament gleichzeitig gewählt werden sollten und ob es bereits Termine gebe, antwortet Staatspräsident Gorbatschow, daß ein Termin im März/April 1992 - eher später - ins Auge gefaßt sei. Hinsichtlich der Wahlen des Präsidenten sei allerdings nicht ausgeschlossen, daß sie vorgezogen würden.
Aber insgesamt dürfe man nicht zu schnell agieren - erst müsse man auf der jetzt geschaffenen Grundlage die Lage stabilisieren. Dann erst könne man in eine Wahlkampagne gehen. Auf Frage des Bundeskanzlers, ob der Präsident kandidieren wolle, antwortet dieser scherzend, wenn der Bundeskanzler einverstanden sei und ihn unterstützen werde, dann werde er auch kandidieren. Im übrigen habe sich die Lage nach dem Putsch für ihn persönlich stabilisiert, ja sogar verbessert.
Der Bundeskanzler wirft ein, bereits gestern habe er den Präsidenten vor dem Deutschen Bundestag nachdrücklich unterstützt. Insbesondere habe er Leute, die den Präsidenten bereits abschreiben wollten, gewarnt, das Urteil der Geschichte abzuwarten. Im übrigen habe er auch noch einmal verdeutlicht, zu welch' großem Dank wir dem Präsidenten verpflichtet seien. Dies habe bei allen Parteien großen Beifall gefunden.
Staatspräsident Gorbatschow dankt und erwidert, auch in Moskau gebe es einige, die ihn abschreiben wollten, aber im Volk sei die Stimmung ganz anders.
Auf weitere Frage des Bundeskanzlers, wie das Verhältnis des Präsidenten zu Jelzin aussehe, antwortet dieser, es sei deutlich besser geworden.
Der Bundeskanzler erkundigt sich sodann, was hinter Äußerungen Schewardnadses stecke, der Präsident selbst sei an diesem Putsch in gewisser Weise beteiligt gewesen.
Staatspräsident Gorbatschow erwidert, er habe derartige Äußerungen nicht wahrgenommen. Im übrigen hoffe er nach wie vor, daß Schewardnadse gerade in dieser wichtigen Etappe wieder eine Rolle finden und übernehmen werde. Auf Frage des Bundeskanzlers nach Jakowlew erwidert Staatspräsident Gorbatschow, dieser sei für ihn jetzt sehr wichtig. Im übrigen hätten die Reaktionäre immer ihn selbst, Schewardnadse und Jakowlew in einem Atemzug verdammt.
Der Bundeskanzler fragt nach dem Gespräch des Staatspräsidenten mit Premierminister Major.
Staatspräsident Gorbatschow erwidert, er wolle offen sprechen: Er habe auf PM Major Druck ausgeübt und ihm gesagt, die endlose Debatte, oh und wie man der Sowjetunion helfen solle, müsse beendet werden. Wichtig sei, daß jetzt schnelle Hilfe geleistet werde. Wichtig für die Beurteilung sei, daß nicht nur die Reformer, sondern das ganze Volk jetzt sage, man könne nicht mehr weiter leben wie bisher. Alle müßten jetzt die Bemühungen vereinen, um die Reformen voranzubringen. Und der Westen müsse, wie gesagt, die endlose Debatte über das ob und wie der Hilfe beenden und tatsächlich helfen. Nur dann könne man gewinnen.
Der Staatspräsident bittet sodann den Bundeskanzler, das Thema mit Präsident Bush aufzunehmen und diesen zu bewegen, seine Vorbehalte zurückzustellen - auch wenn Wahlen ihre Schatten vorauswürfen.
Der Bundeskanzler sagt dies für seinen in der nächsten Woche beginnenden USA-Besuch und sein Treffen mit Präsident Bush zu. Danach werde er den Staatspräsidenten wieder anrufen.
Nach erneutem Appell nach schneller Hilfe erläutert der Präsident - unter Hinweis auf den Beitrag der Sowjetunion im Nahen und Mittleren Osten - die Sowjetunion brauche jetzt Hilfe in einer Größenordnung die der, die man für den Golfkrieg ausgegeben habe, vergleichbar sei. Prioritär seien Umschuldung - Warenintervention und Rubelkonvertibilität. Die Sowjetunion sei zur Zusammenarbeit in allen Fragen bereit, man solle synchronisiert handeln, gemeinsame Arbeitsgruppen einsetzen und gemeinsam die Kontrolle ausüben, damit das Geld nicht in den Sand gesetzt werde.
Der Bundeskanzler erkundigt sich nach dem Ergehen von Frau Gorbatschowa, der Staatspräsident erwidert, der Gesundheitszustand sei praktisch normalisiert, sie brauche nicht das Bett zu hüten und habe bereits wieder ein Interview gegeben.
Das Telefongespräch endet mit herzlichen Grüßen, auch an die Damen.
(Dr. Kaestner)
[1] BArch, B 136/59746, 59-62.
Head of Department 2 i.r. Bonn, 6 September 1991
MDg Dr. Kaestner, 2210
M e m o r a n d u m
Subject: The Chancellor's Conversation with Soviet President Mikhail S. Gorbachev, Thursday, 5 September 1991, 13:15 until 13:30 hours[1]
After cordial greetings, President Gorbachev mentions he had seen the Chancellor on TV discussing the situation in the Soviet Union.
The Chancellor hopes that it was in President’s Gorbachev’s favor, saying that the cutout was very short, unfortunately.
Upon the Chancellor’s request, President Gorbachev reports on the most recent political developments:
Half an hour ago, the Deputy People’s Congress had just reached its conclusion reaching a decision, which had already been sketched out in the declaration of the President and the leaders of the ten republics. It set the start for a transitory period. The next task was to finalize the conclusion of the union’s treaty. It would give the republics a sort of differentiation with regards to their participation. However, it was important to maintain a joint economic space. At this point in time, a new economic treaty between the republics was concluded. The military reform was also implemented, but the army would remain unchanged. It was emphasized that the Soviet Union would comply with all its international obligations including those on arms control and disarmament as well as its foreign trade commitments.
Last but not least, new state structures had been established. The new Supreme Soviet would consist of two chambers. The first chamber would be the highest one, it would consist of delegates who were sent from the republics according to a certain quota. The second chamber was the union. It would be rebuilt from scratch. Finally, a new State Council would be established. consisting of the President as its chairman and the leaders of the republics. It had the highest authority on foreign policy and economic affairs. An inter-republic economic committee had been established in order to further pursue economic reforms.
Key bodies such as the Ministry of Defense, the Foreign Ministry, the Ministry of the Interior, the KGB, and the Security Council were under the control of the President and the State Council. Thus, without losing time, one had reached a basis for consolidation and stabilization. As a whole, everybody acknowledged that one had to cooperate on a new level – jointly!
The President thanks the Chancellor for his support for this course.
Tomorrow, the President continues, the State Council would discuss the issue of the Baltic states in its first session.
Moreover, a variety of documents had been adopted, enabling the union and the republics to continue their negotiations. The next aim was the elaboration of a new union treaty, the composition of a new constitution, then elections.
Upon the Chancellor’s question of whether the President and the parliament would be elected in parallel and whether there was already a specific date for this, President Gorbachev replies that he envisaged a date in March/April 1992 or rather later. With regards to the Presidential elections, one could not expect that to take place earlier.
As a whole, one must not move too fast – one had to stabilize the foundation which one had just achieved. One could only enter an election campaign thereafter. Upon the Chancellor’s question whether he was planning to run as a candidate, the President responds jokingly that he would so do if the Chancellor gave his consent and supported him. Apart from that, after the coup, his position had stabilized and even improved.
The Chancellor interjects that he had strongly supported the President in his address before the Bundestag yesterday. In particular, he had warned those people who had already been willing to write the President off. They had to await history’s judgement. Apart from that, he had again made clear the extent to which we were indebted to the President. This found great applause among all parties.
President Gorbachev thanks the Chancellor and replies that there were some in Moscow as well who wanted to write him off, but the population’s mood was entirely different.
Upon a further question from the Chancellor about the President relationship with Yeltsin, President Gorbachev responded that it was considerably better.
The Chancellor then queries about Shevardnadze’s statements, according to which the President himself had been participating in the coup.
President Gorbachev replies that he had not registered such statements. By the way, he hoped that Shevardnadze would take over a role at this important stage.
Upon the Chancellor’s question about Yakovlev’s role, President Gorbachev replied that the latter was particularly important for him at this point in time. Incidentally, the reactionaries had always been cursing himself, Shevardnadze, and Yakovlev in one breath.
The Chancellor queries about the President’s conversation with Prime Minster Major.
President Gorbachev says he wanted to be candid: He pressured Major, arguing that the endless debate about the best ways for assistance for the Soviet Union had to be terminated. It was important to provide assistance quickly. When one judged the situation, one had to take into account that it was not just the reformers who demand help, but the entire populace argued that one could not live as before. All had to join in order to push the reforms forward. Again, the West had to terminate its endless debate and had to provide the assistance indeed. This was the only way for success.
President Gorbachev then asks the chancellor to raise the issue with President Bush and to push the latter to reduce its bias even if the elections was already casting its shadow.
The Chancellor pledges his support, saying he would raise the issue during his visit in the United States next week when he would meet President Bush. He would call the President thereafter.
After yet another appeal for fast assistance, the President argues that the Soviet Union needed an amount around the magnitude of the funds that had been spent in the Gulf, where the Soviet Union had played a constructive role. The priorities entailed debt restructuring, commodity intervention, and the convertibility of the ruble. The Soviet Union was willing to cooperate in all issue areas, one had to act in sync and to use joint working groups exercising controls so that the money would not drain away in the sand.
The Chancellor inquires about the wellbeing of Mrs. Gorbachev. The President replies that her condition was practically back to normal. She must no longer stay in bed, and she had already given an interview again.
The telephone conversation ends with warm wishes, also for the ladies.
(Dr. Kaestner)
[1] BArch, B 136/59746, 59-62.
Kohl and Gorbachev scrutinize the situation in the Soviet Union after the coup. They agree on the urgent need for more for financial help.
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