May 4, 1992
The Chancellor's [Helmut Kohl's] Meeting with Japanese Prime Minister Kiichi Miyazawa in Bonn, 30 April 1992, 11:45 – 12:10 Hours
Gruppenleiter 21 Bonn, den 4. Mai 1992
V e r m e r k
Betr.: Gespräche des Herrn Bundeskanzlers mit dem japanischen Ministerpräsidenten Kichi Miyazawa, Bonn, den 30. April 1992, 11.45 – 12.10
Nach herzlicher Begrüßung erinnert MP Miyazawa an seine erste Begegnung mit dem Bundeskanzler im September 1990 – kurz vor der Wiedervereinigung. Er wolle sich nochmals für das damalige Zeitopfer des Bundeskanzlers bedanken – heute komme er als Ministerpräsident und treffe den Bundeskanzler wieder in einer Zeit wichtiger politischer Weichenstellungen.
Der Bundeskanzler unterstreicht die Bedeutung des Besuchs des Ministerpräsidenten - er wolle, ausgehend von dieser heutigen Begegnung, einen intensiven persönlichen Kontakt knüpfen und lade den Ministerpräsidenten ein, auch zwischen Begegnungen zum Telefonhörer zu greifen.
Unser Interesse sei, die traditionell freundschaftlichen deutsch-japanischen Beziehungen in jeder Hinsicht zu pflegen. In der Tat gingen in der Welt dramatische Änderungen vor - hoffentlich zum Guten. Um so wichtiger sei es, auf feste Freunde rechnen zu können.
MP Miyazawa unterstreicht, wie reibungslos die deutsch-japanischen Beziehungen sich nach dem 2. Weltkrieg entwickelt haben. Davon zeuge dichter Besuchsaustausch, der in diesem Jahr mit der Begegnung beim Münchener Wirtschaftsgipfel sowie beim Bundeskanzlerbesuch in Tokyo fortgesetzt werde.
Darüber hinaus sei man seit einiger Zeit im Gespräch über ein deutsch-japanisches Dialogforum – derzeit treffe man konkrete Vorbereitungen, und er hoffe, diese Vorbereitungen bis zum Besuch des Bundeskanzlers im Oktober zu einem konkreten Abschluß bringen zu können. Die erste Tagung könne dann im deutsch-japanischen Zentrum in Berlin noch in diesem Jahr veranstaltet werden.
Der Bundeskanzler erwidert, er halte die Idee des Dialogforums für sehr gut und freue sich, wenn die Dinge so, wie der Ministerpräsident sie vorgezeichnet habe, zu einem guten Abschluß kämen. (Exkurs: Einweihung des deutsch-japanischen Zentrums mit dem damaligen MP Nakasone in Berlin). Für ihn sei entscheidend, daß in diesem Forum nicht nur Politiker und Wirtschaftler einander begegnen, sondern vor allem auch kulturelle Persönlichkeiten. Leider habe es die Weltentwicklung in den letzten Jahrzehnten mit sich gebracht, daß man fast nur noch über militärische, sicherheitspolitische und wirtschaftliche Fragen gesprochen habe. Dies alles sei wichtig, aber Beziehungen zwischen Menschen würden nicht über den Verstand, sondern über das Herz aufgebaut. Deshalb messe er den kulturellen Beziehungen allergrößte Bedeutung bei, nicht zuletzt im Hinblick auf die junge Generation.
MP Miyazawa pflichtet lebhaft bei. Der Stand der bilateralen Beziehungen sei ausgezeichnet, man habe zwar noch einige Probleme auf wirtschaftlichem Gebiet, diese seien aber lösbar. Um so wichtiger sei es, jetzt die kulturelle Ebene auszubauen.
Was den Münchener Wirtschaftsgipfel angehen, so habe der Bundeskanzler vorgeschlagen, sich auf drei Themenkreise zu konzentrieren: Weltwirtschat, Hilfe für die GUS/MOE, Lage der Entwicklungsländer.
Er wolle zusätzlich anregen, auch über asiatische Themen zu reden: China, Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel, in Vietnam, Kambodscha sowie den Asean-Staaten. Auch über Rüstungskontrolle könne man sprechen.
Er - Miyazawa - habe gestern diese Themen auch gegenüber Staatspräsident Mitterrand angeregt, dieser habe sich aber hinsichtlich politischer Themen zurückhaltend gezeigt.
Was eine Einladung Präsident Jelzins angehe, so stimme er dieser Idee zu. Das Gespräch mit ihm solle nach der Formel 7 + 1 nach der eigentlichen Gipfelkonferenz stattfinden.
Der Bundeskanzler pflichtet bei und gibt sodann einen Abriß über den Gipfelfahrplan.
In der Sache gehe es ihm darum, nicht unzählige Papiere, die kein Mensch lese, zu produzieren oder nach einer festen Tagesordnung vorzugehen, sondern möglichst viel Zeit für das persönliche Gespräch der Gipfelpartner zu gewinnen. Er hoffe, daß der Ministerpräsident bereits am Sonntag, 5. Juli, eintreffen könne - er würde sich dann auf eine erste Begegnung bereits an diesem Tage freuen.
Der Ministerpräsident wirft ein, in der Tat plane er die Anreise für den 5. Juli und nehme das Angebot des Bundeskanzlers gern an.
Der Bundeskanzler erläutert sodann die Planungen für den letzten Gipfeltag: Abschluß am Mittag, dann Mittagessen des Bundespräsidenten, bei dem Jelzin bereits eingeladen sei, dann Treffen der Gipfelpartner mit Jelzin für den Rest des Nachmittags. Damit sei die Formel 7 + 1 gewahrt.
Die vom Ministerpräsidenten genannten asiatischen Themen wolle er gern aufnehmen. Auch dabei gehe es darum, Zeit für das wirkliche Gespräch zu finden, nicht aber Resolutionen zu verfassen und Formulierungen auszuhandeln.
MP Miyazawa ist einverstanden. Er bittet sodann den Bundeskanzler um besonderes Verständnis für die Haltung Japans zu Unterstützungsmaßnahmen für die GUS-Staaten. Bereits bei der ersten Begegnung im Herbst 1990 habe der Bundeskanzler ihm vorausgesagt, daß die Territorialfrage zwischen Japan und der damaligen SU früher oder später gelöst werde. Deshalb solle Japan stärker für die wirtschaftliche Zusammenarbeit engagieren.
Japan tue das in der Tat: In der Vorwoche sei bei der Tagung von IWF und -Weltbank in Washington ein 24 Mrd. Dollar Paket für Rußland beschlossen worden, einschließlich eines 6 Mrd. Dollar Stabilisierungsfonds für den Rubel. Voraussetzung des Paketes sei, daß der Reformprozeß gemäß IWF-Programm fortgesetzt werde.
Im bilateralen Bereich habe Deutschland bereits eine Spitzenrolle übernommen, was er sehr würdige. Bei dieser Konstellation - so nehme er an -werde nun von Japan erwartet, seinerseits einen stärkeren Beitrag zu leisten.
Der Bundeskanzler wirft ein: So ist es!
Der Ministerpräsident bittet jedoch, in diesem Zusammenhang das Problem der Nördlichen Territorien nicht zu übersehen. Territorialfragen seien -vom Ausland aus gesehen - immer klein, für die Betroffenen jedoch im hohen Maße emotional - wie Deutschland ja selbst an den Oder-Neiße-Ge-bieten erlebt habe.
Der Ministerpräsident gibt einen historischen Aufriß des Problems und unterstreicht, daß dieses Problem bereits bei der Friedenskonferenz in San Franzisco 1951 - an der er teilgenommen habe - dazu geführt habe, daß Gromyko vom Verhandlungstisch aufgestanden sei und es bis heute keinen japanisch-russischen Friedensvertrag gebe.
Seit dem Amtsantritt Gorbatschows gebe es einen gewichtigen Fortschritt: Die Fakten würden nicht mehr bestritten. Man plädiere von zunächst sowjetischer, jetzt russischer Seite dafür, noch zuzuwarten, bis die psychologischen Voraussetzungen geschaffen seien. Was das Schicksal der jetzt auf den Inseln lebenden Bevölkerung angehe, so habe Japan von Anfang an klargemacht, daß niemand von den 20.000 Russen vertrieben werde, daß vielmehr jedermann bleiben könne - was hinsichtlich des höheren japanischen Lebensstandards durchaus attraktiv sein könne.
Er bitte nun den Bundeskanzler - wie er es auch im Januar gegenüber Präsident Bush und gestern gegenüber Staatspräsident Mitterand getan habe - die Frage der vier Inseln nicht als bilaterale japanisch-russische Frage zu sehen, sondern die aktive Unterstützung der G-7-Partner zu gewähren. Japan bemühe sich, aktiv an der Unterstützung der GUS-Staaten
mitzuwirken - dazu brauche er jedoch einen Zustand, in dem das japanische Volk diese Bemühungen bejahen könne. Hier sei leider die Territorialfrage - fehlende Friedensvertrag insgesamt - wie eine Fischgräte im Hals. Dieses Hindernis müsse beseitigt werden! Er wiederhole deshalb die Bitte, da alle G-7-Staaten die Frage als gemeinsames Problem der G-7 behandelten.
Aus den letzten Kontakten mit der russischen Seite habe man entnommen, daß es nach wie vor für die Russen sehr schwierig sei, die Inseln zurückzugeben, wenngleich man heute in historischer und grundsätzlicher Hinsicht einig sei, im September des Jahres komme Jelzin nach Japan, und er - der Ministerpräsident - werde versuchen, in der Frage Fortschritte zu erzielen, erneuere jedoch gleichwohl die Bitte an den Bundeskanzler als G-7-Vorsitzender, sich seinerseits der Angelegenheit anzunehmen.
Der Bundeskanzler unterstreicht, daß das Problem ihm sehr gut bekannt sei. Bekanntlich habe er Staatspräsident Gorbatschow - auf Bitten der Vorgänger des Ministerpräsidenten - mehrfach angesprochen, so im Juni 1989 in Bonn und im Juli 1991 in Kiew. Auch ihm habe Gorbatschow 4 Wochen vor dem Moskauer Putsch gesagt, er sehe nunmehr ein, daß man die Inseln zurückgeben müsse, brauche aber noch etwas Zeit. Dasselbe Problem habe jetzt Jelzin. Gleichwohl müsse man ihm verdeutlichen, daß er jetzt handeln müsse - er - der Bundeskanzler - sei gern bereit, ihm dies zu sagen. Wichtig sei ein psychologisch geschicktes Herangehen, damit Jelzin nicht das Gesicht verliere. (Exkurs: Geographie, wirtschaftliche und militärische Bedeutung der Inseln)
MP Miyazawa dankt dem Bundeskanzler für das gezeigte Verständnis. Er könne nur wiederholen: Wenn er das Einverständnis der japanischen Bevölkerung auf diesem Wege bekomme, werde es um vieles einfacher, bei der Unterstützung der GUS-Staaten mitzuwirken.
MP Miyazawa unterstreicht sodann erneut die politische Bedeutung der Wirtschaftsgipfel für Japan. Zwar verstehe er die Zurückhaltung von Staatspräsident Mitterand, bitte jedoch zu würdigen, daß Japan weder zur NATO, noch zur Europäischen Gemeinschaft/EPZ noch zur KSZE gehöre. Deshalb seien die G-7-Gipfel der zentrale Platz für sein Land, mit den anderen
führenden Industriestaaten auch über politische Probleme zu sprechen. Die Idee, eine Konferenz von politischen Sherpas einzuberufen, habe bei Mitterrand keine Gegenliebe gefunden. Vielleicht aber könne man eine andere Organisationsform finden. Ihm gehe es um weltweite Themen wie Drogen, Flüchtlinge, Abrüstungs- und Rüstungskontrolle, Friedensorganisation der Vereinten Nationen.
Der Bundeskanzler betont, die japanischen Probleme seien ihm wohl bekannt - sie ergäben sich nicht zuletzt aus Geographie und Geopolitik. Natürlich seien die Wirtschaftsgipfel ökonomische Gipfel - dies müsse im Prinzip so bleiben. (Exkurs: Psychologische Probleme anderer Gipfelpartner, die sich letztendlich daraus ergäben, daß Japan und Deutschland die Verlierer des 2. Weltkrieges seien, die Nachkriegsordnung nicht mitgestaltet hätten - und jetzt führende Wirtschaftsnationen mit zunehmender politischer Bedeutung seien.)
Er wolle jedenfalls die Anregung des Ministerpräsidenten aufnehmen und darüber nachdenken, wie man hilfreich sein könne. Jedenfalls könne diese Frage kein Thema für München sein. Vielmehr wolle er mit anderen Partnern vertraulich darüber sprechen und mit dem Ministerpräsidenten erneut bei seinem Besuch im Oktober.
MP Miyazawa fragt, ob man sich im Rahmen der KSZE eine stärkere Einbeziehung Japans vorstellen könne.
Der Bundeskanzler verweist auf den angeknüpften Dialog EG/Japan, den man - parallel zum Ausbau der Politischen Union - intensiv weiterverfolgen solle.
Ab 11.50 Uhr wird das Gespräch in erweitertem Kreis fortgeführt. Auf japanischer Seite nimmt zusätzlich der stellvertretende Kabinettchef Kondo sowie Botschafter Murata, auf deutscher Seite VLR I Dr. Ueberschaer, teil.
MP Miyazawa weist darauf hin, daß er das Schreiben des Bundeskanzlers zum Thema Umwelt- und Entwicklungskonferenz in Rio de Janeiro und dessen Vorschläge zur Zusammenarbeit in Umweltfragen bereits positiv beantwortet habe, Als konkreten Ansatz hierzu schlage er das von ihm erläuterte Projekt zum Schutze des Tropenwaldes in Sarawak/Malaysia vor. Deutsche und japanische Experten sollten Sich zur Prüfung dieses Projekts treffen.
Der Bundeskanzler stimmt dem zu. Die Erhaltung des tropischen Regenwaldes sei von vorrangiger Bedeutung. Der Projektvorschlag sollte in der Tat zunächst von Experten beider Seiten geprüft werden. Wer innerhalb der japanischen Regierung sei für dieses Projekt zuständig?
MP Miyazawa erklärt, daß dies Sache des japanischen Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft sei.
Der Bundeskanzler bittet, ihm eine Notiz mit detaillierten Angaben zu übermitteln, er werde dann alles Notwendige für ein baldiges Expertentreffen veranlassen.
MP Miyazawa weist darauf hin, daß dies alles bereits in seinem Brief enthalten sei.
Er hebt sodann hervor, daß ein besonders wichtiges Thema des Umweltschutzes die Reduzierung des CO2-Gehalts der Erdatmosphäre sei. Für eine weltweite Übereinkunft spiele die Haltung von Präsident Bush eine entscheidende Rolle.
Der Bundeskanzler erwähnt, daß er Präsident Bush bei einem kürzlichen Treffen geraten habe, an der UNCED-Konferenz in Rio teilzunehmen. Angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen wäre dies für ihn auch innenpolitisch günstig. Das Denken der jungen Generation im Hinblick auf Umweltfragen sei in der ganzen Welt gleich; dies gelte auch für die USA. Wer jetzt 20 Jahre alt sei, könne damit rechnen, das Jahr 2050 noch zu erleben. Man könne diesen jungen Leuten nicht verübeln, wenn sie sich darüber Gedanken machten, wie die Welt dann aussehen werde. Er habe daher gestern BM Töpfer - der heute in Washington sei - gebeten, Präsident Bush unser Bemühen um eine Kompromißformel für die Klima-Konvention, mit der auch er leben könne, zu verdeutlichen.
MP Miyazawa bemerkt, daß der frühere US-Präsident Jimmy Carter bei seinem kürzlichen Besuch in Japan die gleiche Auffassung wie der Bundeskanzler vertreten habe.
Auf das Thema GATT übergehend fragt der Bundeskanzler, ob Einigkeit darüber bestehe, daß man die Uruguay-Runde jetzt zu einem positiven Abschluß bringen müsse, was MP Miyazawa bejaht.
Der Bundeskanzler bittet seinen Gast sodann um Bewertung der Lage in der VR China.
MP Miyazawa weist darauf hin, daß seit Herbst vergangenen Jahres Deng Xiaoping bemüht sei, der Politik der Wirtschaftsreformen im Innern und der wirtschaftlichen Öffnung zum Ausland neue Impulse zu geben. Entsprechend habe er bei seiner Reise nach Shanghai und nach Südchina für den Reformkurs geworben. Dabei habe es Deng sicher nicht leicht gehabt; es gebe starke Widerstände bei den Konservativen, was besonders in den Monaten Dezember 1991 bis Februar 1992 deutlich geworden sei. Man sage jedoch, daß die Reformpartei die Auseinandersetzung gewonnen habe.
Der Bundeskanzler fragt nach den zu erwartenden Entwicklungen auf dem bevorstehenden Parteitag der KPCh.
MP Miyazawa erklärt mit der Bitte um vertrauliche Behandlung, daß er damit rechne, daß MP Li Peng abgelöst werde und man ihm anschließend eine Repräsentationsrolle - möglicherweise die des Staatspräsidenten - übertragen werde. Sicher sei, daß Deng auch weiterhin die wirtschaftlichen Reformen vorantreiben, aber politische Freiheiten nicht zulassen werde.
Der Bundeskanzler weist darauf hin, daß sich alle Experten darüber einig seien, daß dies in der Weltpolitik noch nie funktioniert habe. Den sowjetischen Kosmonauten habe man seinerzeit nicht das Recht gegeben, an der Wahl des Bürgermeisters in ihrem eigenen Dorf weiterzuwirken. So etwas funktioniere eben nur begrenzte Zeit.
MP Miyazawa bemerkt, daß die chinesischen Reformer Marxisten seien und blieben. Der Mißerfolg Gorbatschows habe sie in ihrer Auffassung nur bestärkt, daß politische Reformen zu Auflösungserscheinungen wie in der ehemaligen Sowjetunion führen müßten. Man müsse daher auch davon ausgehen, daß sich künftig in China Entwicklungen wie das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens wiederholen könnten.
KPCh-Generalsekretär Jiang Zemin habe ihm, Miyazawa, bei seinem kürzlichen Japan-Besuch gesagt, daß in chinesischer Sicht die Menschenrechtsvorstellungen regional unterschiedlich seien. Die chinesische Führung gehe es vor allem um die kollektiven Menschenrechte von einer Milliarde Chinesen auf Essen, Kleidung und Wohnung. Die chinesischen Massen hätten auch ein Menschenrecht auf wirtschaftlichen Aufschwung. Der Stand der Menschenrechte in einem Land wie China lasse sich demnach nur an der Wirtschaftslage bemessen. Die chinesische Führung könne und werde eine Einmischung des Auslands unter dem Vorwand des Schutzes der Menschenrechte nicht dulden.
Der Bundeskanzler erklärt, daß diese Ausrede verwendet werde, seit es Diktaturen gebe. Wahr sei indessen, daß die chinesische Führung seit 1978 auf wirtschaftlichem Gebiet große Leistungen vollbracht habe, die die Existenz ihrer Milliarden-Bevölkerung sicherten. Dennoch müsse auch sie den Satz Talleyrand berücksichtigen, daß man auf Bayonetten nicht ruhig schlafen könne. Jede Diktatur erlahme nach einer gewissen Zeit.
Der letzte kommunistische Innenminister Polens habe ihm, dem Bundeskanzler, hier in Bonn im Jahre 1987 auf dessen Frage, wie lange sich das polnische Regime noch an der Macht halten werde, geantwortet, daß es den Staat fest im Griff habe. Der Bundeskanzler habe dazu bemerkt, daß die polnische Regierung dennoch gegen ihren Willen den Papst nach Polen habe einreisen lassen müssen, dem es dann gelungen sei, sich eine Gefolgschaft von einer Million Menschen zu sichern.
Bei einem Gespräch mit Präsident Gorbatschow hier am Rhein im Juni 1989 habe er, der Bundeskanzler, ihm gesagt, daß der Mensch den Fluß des Rheines nicht stoppen könne. Man könne ihn vielleicht verzögern, letzt-endlich werde sein Wasser aber doch ins Meer fließen. Auch das SED-Regime könne die deutsche Einheit nur für eine begrenzte Zeit bremsen.
Dies sei das erste Mal gewesen, daß Gorbatschow ihm bei dieser Feststellungen nicht widersprochen habe. Wenig mehr als ein Jahr später habe man die deutsche Einheit dann erreicht.
Ähnlich werde die Entwicklung auch in der Frage der Wiedereingliederung der Kurilen durch Japan verlaufen. Nach einer langen Phase der Stagnation komme jetzt offenbar Bewegung in diese Frage. Er selbst wolle Japan gern behilflich sein, soweit er dies vermöge.
Für Deutschland wie für Japan sei in diesem Jahrhundert nicht alles geradlinig verlaufen. Beide Völker hätten in den letzten Jahrzehnten aber viel in Ordnung bringen können. Darüber hinaus hätten sie bis zur Jahrtausendwende noch weitere acht Jahre zur "Reparatur".
MP Miyazawa erinnert daran, daß der Bundeskanzler ihm von der Szene mit Präsident Gorbatschow am Rhein bereits bei ihrem ersten Zusammentreffen im Jahre 1990 berichtet habe. Er habe diese Anekdote seither an die 200 mal in Wahlreden verwendet.
(Dr. Kaestner)
(Dr. Ueberschaer)
Head of Division 21 Bonn, 4 May 1992
M e m o r a n d u m
Subject: The Chancellor's Meeting with Japanese Prime Minister Kiichi Miyazawa in Bonn, 30 April 1992, 11:45 – 12:10 Hours[1]
After cordial greetings, PM Miyazawa recollects his initial meeting with the Chancellor in September 1990 – shortly prior to Germany’s unification. He wanted to express his gratitude to the Chancellor again for sacrificing his time. Today, he came as Prime Minister and was again meeting the Chancellor during a time of important political decisions.
The Chancellor underlines the relevance of the Prime Minister’s visit. With today’s meeting, he wanted to establish intense personal contact and invited the Prime Minister to pick up the phone between meetings.
Our interest was to foster the traditional, friendly German-Japanese relationship in every possible way. Indeed, the world saw dramatic changes – hopefully for the better. Thus, it was all the more important to have good friends.
PM Miyazawa emphasizes how smoothly German-Japanese relations have developed since the end of World War II. The frequent exchange of visitors highlighted this, and this was continued this year with the meeting at the Munich World Economic Summit and the Chancellor’s visit in Tokyo.
Moreover, for some time, they have been in touch on the establishment of a German-Japanese dialogue forum. Currently, specific preparations were pursued, and his hope was that they could be finalized prior to the Chancellor’s visit in October. The first conference could still be convened at the German-Japanese Center in Berlin this year.
The Chancellor replies that he thought the idea on the dialogue forum was very good and he was very glad that things were going well and coming to a fruitful conclusion, as the Prime Minister had pointed out. (Excursus: Opening of the German-Japanese Center with former PM in Berlin). For him, it was crucial that the forum was not just a place for meetings between people from politics and business, but also primarily for personalities from culture. It was a pity that the evolution of international affairs had brought about a situation that was almost entirely dominated by issues of defense and economics. All of these were important, but relations between peoples were established not with the mind, but with the heart. Thus, they had to attach the greatest possible relevance to cultural relations, not least regarding the young generation.
PM Miyazawa vividly affirms this. The state of bilateral relations was excellent, although there were still a few problems in the economic field, but those were solvable. It was even more important now to expand the cultural dimension.
Regarding the Munich World Economic Summit, the Chancellor had proposed to focus on three issue areas: The global economy, assistance for the CIS/CEE, and the situation of the developing countries.
In addition, he wanted to suggest a discussion on Asian issues as well: China and development on the Korean peninsula, in Vietnam, in Cambodia, and in the ASEAN states. They could also discuss arms control.
Yesterday, he – Miyazawa – had brought these issues up in his meeting with French President Mitterrand, but the latter had reacted with restraint.
As far as an invitation for President Yeltsin was concerned, he basically agreed with this idea. The meeting with him should take place after the summit following the 7 + 1 formula.
The Chancellor agrees and provides a timetable for the summit. In terms of substance, his aim was not to produce countless papers that nobody would read or to proceed according to a rigid timetable. Rather, his objective was to create as much time as possible for personal talks among the summit participants. His hope was that the Prime Minister would be able to arrive on Sunday, 5 July, so that they could have a meeting on the same day.
The Prime Minister inserts that he was, indeed, planning to arrive on the 5 July, and that he was glad to accept the Chancellor’s offer.
The Chancellor then explains the preparations for the last summit day: Conclusion at midday, lunch with the Federal President, including Yeltsin, meeting between the summit participants and Yeltsin for the rest of the day. Thus, the 7 + 1 formula would be kept.
He was glad to take up the issues that the Prime Minister had mentioned. Regarding these issues, the objective was also to have time for true conversation. They should not try to adopt any sort of resolutions or negotiations on formulas.
PM Miyazawa agrees. He then asks the Chancellor for understanding with regard to Japan’s position on assistance measures for the CIS states. At their first meeting in autumn 1990, the Chancellor had predicted a solution of the territorial question between Japan and the former Soviet Union sooner or later. Thus, Japan should engage itself more in favor of economic cooperation.
Japan actually did this: During the previous week, at the meeting of the IMF and the World Bank in Washington, they had concluded an assistance package for Russia worth $24 billion, including $6 billion for a stabilization fund for the Rubel. The continuation of the reform process was a precondition for the entire package. In the bilateral field, Germany had assumed a leadership role, and he appreciated this very much. His assumption was that, in this constellation, Japan was expected to make a stronger contribution.
The Chancellor inserts: That’s the way it is!
However, the Prime Minister asked not to ignore the issue of the Northern Territories in this context. As seen from a foreign perspective, territorial questions were always small, but they were highly emotional for those who were directly affected – as Germany had witnessed with the Oder-Neiße territories.
The Prime Minister provides a historical outline of the problem and emphasizes that it had already existed during the peace conference in San Francisco in 1951 – in which he had participated, and which caused Gromyko to leave the bargaining table. Thus, even today there was no Japanese-Russian peace treaty.
There had been considerable process since the start of Gorbachev’s tenure: They no longer denied the facts. The former Soviet side, now the Russian side, pleaded for a cautious approach until the appropriate psychological situation. Regarding the fate of the population on the island, Japan had unmistakably pointed out that none of the 20,000 Russians on the islands would be expelled. Everybody could stay. This could be quite attractive against the backdrop of the higher Japanese living standard.
Thus, he asked the Chancellor not to view the question of the four islands as a bilateral Japanese-Russian question, but to provide the active support of the G-7 partners. He had already raised this request in his previous discussions with President Bush in January and with President Mitterrand yesterday. Japan was actively trying to contribute to the assistance program for the CIS states,
but it needed an appropriate framework in which the Japanese population could endorse this. Unfortunately, in this regard, the unresolved territorial question was like a fishbone in one’s throat. In any case, this obstacle had to be removed! Thus, he repeated his plea for all G-7 states to treat this issue as a common problem.
From the last contacts with the Russian side, the conclusion had been drawn that it was still very difficult for the Russian to return the islands, even though they had established a basic consensus on the historical dimension. Yeltsin was planning a visit to Japan in September, and the Prime Minister would try to achieve progress. Still, he renewed his request for the Chancellor, as G-7 chairman, to address the problem himself as well.
The Chancellor replies that he knew the problem very well. As was well known, he had repeatedly raised the issue with Gorbachev upon the request of the Prime Minister’s predecessor, for instance in June 1989 in Bonn and in July 1991 in Kiev. Four weeks prior to the August 1991 coup, Gorbachev had told him that he had been aware of the need to return the islands, but that they would need some more time to do it. Yeltsin had the same problem. At the same time, it had to be made clear to him that he had to act. He, the Chancellor, was glad to tell Yeltsin. It was important to do this with psychological skill. Yeltsin must not lose face. (Excursus: Geography, economic and military relevance of the islands.)
MP Miyazawa thanks the Chancellor for his understanding. He could only repeat: It would be considerably easier for him to participate in assistance for the CIS states if he obtained the consent of the Japanese population in this way.
MP Miyazawa then underlines the political relevance of the World Economic Summit for Japan. Although he understood President Mitterrand’s reservations, he asked that they consider that Japan was not a member in NATO, the EC, or the CSCE. Thus, from Japan’s perspective, the G-7 summits were the pivotal forum for political discussions with other industrialized countries.
Mitterrand had not liked the proposition to organize sherpa meetings before the summit. Perhaps it might be possible to find other ways to organize this. He was interested in issues such as drugs, migration, arms control and disarmament, and peace organization through the United Nations.
The Chancellor reiterates that he knew the Japanese issues very well. They resulted from geography and geopolitics. Naturally, the economic summits must remain summits on economics in principle. (Excursus: Psychological problems among other summit participants which could result from the fact that Japan and Germany were losers of World War II who had not participated in the establishment of the post-war order but were now two leading economies with increasing political relevance.)
In any case, he wanted to take up the Prime Minister’s suggestion and think about the best possible way to help. However, this question could not be on the agenda of the Munich summit. Rather, he wanted to discuss this confidentially with the other partners and again with the Prime Minister during his visit in October.
PM Miyazawa queries whether Japan’s increasing involvement in the CSCE could be envisaged.
The Chancellor refers to the dialogue between the EC and Japan that would intensify in parallel to the establishment of the Political Union.
Starting at 11:50, the conversation continues with additional participants. On the Japanese side, Deputy Cabinet Chief Kondo and Ambassador Murata join in, as well as VLR I Dr. Ueberschaer on the German side.
PM Miyazawa points out that he had given a positive response to the Chancellor’s letter on the environmental development conference in Rio de Janeiro in consideration of the latter’s proposals on cooperation in environmental questions. As a specific project, his suggestion was a project on the protection of the tropical forest in Sarawak/Malaysia. German and Japanese experts should meet and discuss this.
The Chancellor agrees. The protection of tropical forests was of primary relevance. Indeed, first, the project proposal should be reviewed by experts from both sides. Who was responsible for this project within the Japanese government?
PM Miyazawa says that the Japanese Ministry of Forestry and Agriculture was in charge.
The Chancellor requests a note including detailed information. He would arrange for a meeting of experts.
PM Miyazawa stresses that everything had already been included in his letter, stating that the reduction of CO-2 in the atmosphere was a particularly important issue of environmental protection. In terms of a global consensus, President Bush’s attitude played a decisive role.
The Chancellor mentions that he had recently told President Bush that he should participate in the UNCED-conference in Rio. Against the backdrop of the imminent U.S. Presidential election campaign, this would be favorable domestically as well. The younger generation had the same idea regarding environmental questions; this also applied to the USA. Those who were 20 years old could count on witnessing the year 2050. We could not resent the young generation for concerns about what the world would look like. Yesterday, he had asked Federal Minister Töpfer to illustrate our efforts for a compromise formula in his meeting with President Bush in Washington today.
PM Miyazawa inserts that former U.S. President Jimmy Carter had recently taken the same position as the Chancellor during a visit to Japan.
Concerning the GATT issue, the Chancellor queries as to whether there was consensus on the necessity to conclude the Uruguay round in the current stage. PM Miyazawa confirms this.
The Chancellor then asks his guest for an assessment of China’s situation.
PM Miyazawa points out that since the autumn of last year, Deng Xiaoping has begun efforts to provide new impetus policy of economic reforms, both internally as well as regarding opening up toward foreign countries. Accordingly, he had made the case for the reform policy during his trip to Southern China and Shanghai. It had certainly not been easy for Deng. There had been considerable opposition among the conservatives. This had been especially apparent in the months between December 1991 and February 1992. However, the assumption was that the reform party had won the battle.
The Chancellor asks about the expectations for the upcoming party convention.
PM Miyazawa says that – with a plea for confidentiality – his expectation was that PM Li Peng would be replaced and that he would subsequently be given a representational role as President, for instance. It was certain that Deng would continue pushing for economic reform without guaranteeing political liberties.
The Chancellor points out that there was agreement among all relevant experts that this has never functioned in global politics. During their time, Soviet cosmonauts had not been given the right to elect the mayor of their own village. Such arrangements only work for a limited amount of time.
PM Miyazawa notes that the Chinese reformers remained Marxists and would always stay this way. Gorbachev’s failure had only reinvigorated their position that political reforms would only lead to symptoms of disintegration, such as in the former Soviet Union. Thus, one had to surmise that developments like the Tiananmen massacre could repeat in China in the future.
During his recent visit to Japan, KP Secretary General Jiang Zemin had recently told him, Miyazawa, that ideas about human rights varied in different regions from the Chinese view. The Chinese leadership was primarily concerned about the collective human rights of one billion Chinese citizens regarding food, clothing, and housing. The Chinese masses also had the right for economic upswing. In a country such as China, the state of human rights could only be measured in terms of the economic situation. The Chinese leadership would not tolerate any kind of foreign interference in China’s internal affairs with human rights used as a pretext.
The Chancellor says that this excuse has been used as long as dictatorship have existed. It was true that, since 1978, the Chinese leadership has achieved great accomplishments in the field of economics, thereby securing the existence of its enormous population. At the same time, they had to consider Talleyrand’s wisdom that one could not sleep well on bayonets. Every dictatorship waned over time.
In 1987, upon his question about the viability of the Polish regime, Poland’s last Communist minister of the interior had told him that the state was firmly in charge of the people. The Chancellor had replied that the Polish authorities had still been forced to let the Pope visit Poland against their will – and the Pope had had the ability to mobilize one million supporters.
During a meeting on the Rhine here in Bonn in June 1989, he, the Chancellor, had told Gorbachev that nobody could hold up the Rhine. One could perhaps slow it down, but the water would eventually still reach the sea. Even the SED regime could only slow down Germany’s unity for a time. This had been the first time that Gorbachev had not opposed his statement. It was just a year later that Germany’s unity was finally achieved.
The question of the Kuriles’ reintegration would evolve in similar vein. After a long phase of stagnation, there was apparently some movement. He was glad to help Japan as much as he could. Neither Germany nor Japan had had continuous development in the last century. But both countries had been able to fix much during the last few decades. Moreover, they still had eight more years for "repairs" until the end of the century.
PM Miyazawa recalls that the Chancellor had already told him about the scene with Gorbachev on the Rhine River during their first meeting in 1990. Since then, he had used it about 200 times in his election campaign speeches.
(Dr. Kaestner)
(Dr. Ueberschaer)
[1] BArch, B 136/59730, 176-185.
Kohl and Miyazawa talk about financial aid for Russia and preparations for the 1992 World Economic Summit as well as Kohl's request for additional Japanese economic support for Russia. In contrast, Miyazawa highlights the importance of the unresolved territorial question over the Kuriles.
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